Geschichte vom Großvater, tauglich, Vertrauen zu stärken.
Hermann Voss war gerade mit dem Motorrad auf einer alten Landstraße unterwegs. Kurz vorm Krieg und ganz stolz, es wirklich geschafft zu haben: Der erste Jugendliche im Dorf mit eigenem Motorrad!
Noch immer genießt er die Blicke der Neider. Wie sie ihm nachsehen bei seiner Jungfernfahrt am Markt vorbei, völlig verdattert, ungläubig. Sollte ausgerechnet er, der Stotterer, ein Sieger sein?!
Wie im Rausch fliegt er über den Asphalt und wundert sich kaum, als im Augenblick einer Sekunde erst ein rasender Schmerz und dann säuselnde Stimmen in ihm Raum finden. Kaltgestellt, sagen sie, für immer!
„Er lebt!“, ist das nächste, was er hört. Drei Tage danach, erzählt man ihm später. Bis dahin liegt Hermann im Koma. Der geplatzte Reifen hätte ihn fast das Leben gekostet. Doch es bleibt bei nur einem Bein.
Aber auch 1937 ist das ein Handikap. Ganz zu schweigen von der Trauer und den Phantomschmerzen. Davon erzählt er nicht. Er ist tapfer, sagen alle. Und ein Wunderkind, das mit dem Bein auch sein Stottern verloren hat.
Hermann sattelt um und wird Schriftsetzer. Er vermisst die körperlichen Anstrengungen der Grube. Und die Anerkennung für die harte Arbeit. Auch die Kumpels. Nur das Stottern vermisst er nicht. Und das ausgelacht werden.
1939 wird ein hartes Jahr. Alle können sich melden. Als Soldaten, freiwillig. Nur er steht als Stolperer am Straßenrand und sieht, wie die Mädchen den Männern in Uniform ihre Herzen schenken. „Schschscheiße!“, sagt Hermann und heult heimlich.
Nur die Sache mit dem Selbermachen muntert ihn später auf: Zinnsoldaten gießen, die im Dorf hoch gehandelt werden. Etwas Zuversicht lässt sich so zurückgewinnen, ein Stück weit Stolz entdecken. Und sein erstes Mädchen.
Im selben Jahr erschrecken ihn die ersten Toten. Ein Nachbarjunge ist es, der als erster fällt. Wie hinfallen, denkt Hermann, und einfach nicht wieder aufstehen. Und wieder rast sein Herz über den Asphalt und lässt den Reifen platzen. –
Langsamer als sonst humpelt Hermann nach dieser Nacht zur Tür hinaus in einen neuen Tag. Zu seiner Trauer hat sich heute früh eine neue Gewissheit gesellt, spät und als treue Schwester, Glück gehabt.
Hinweis von Birgitt E. Morrien:
Inspiriert durch die Erzählung eines Klienten, dessen Großvater diese Geschichte so ähnlich erlebt hat. Dem Enkel fiel es in Erinnerung daran leichter, eine als großes Unglück erlebte Kündigung besser annehmen zu können.
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Guten Tag Frau Morrien,
ihr Blog lädt zum Lesen und Verweilen ein. Sehr spannend und auch lehrreich.
MfG
H.Brill