Selbst-Respekt: Die sanfte Waffe eines Medienmanagers gegen Burnout

Wie ein vor Erschöpfung demotivierter Manager mit der Farbe Blau seinen Selbst-Respekt zurückgewann. Ein Bericht aus London von Birgitt Morrien:

Vergangene Woche war ich wieder einmal in England, wo ich zurzeit einen deutschen Kommunikationsmanager im Coaching betreue, der für einen internationalen Medienkonzern arbeitet. Der Prozess dauert bereits einige Monate, und da wir uns nur einmal monatlich treffen, hat es etwas gebraucht, bis wir – Spürhunden gleich – die richtige Fährte ausfindig gemacht hatten.


Das wirklich Wichtige

Ich springe also, aus Erfahrung mutig, beherzt auf den nächsten viel versprechenden Zug auf und bitte ihn sich vorzustellen, unsere Sitzung sei schon beendet und er guter Dinge, weil er daraus etwas für sich sehr Entscheidendes mitnehmen konnte. Etwa eine wichtige neue Erkenntnis oder eine strategische Entscheidung oder … „Nein“, sagt er. „Nur mehr Selbst-Respekt.“

Im Augenblick freut mich die Offenheit, mit der er sich endlich ganz nach vorn wagt, mitten hinein ins Zentrum der Erschöpfung, die einer der wichtigen Anlässe dafür gewesen ist, Coaching zu beginnen. Drohendem Leistungsabfall und steigender Demotivation gilt es Einhalt zu gebieten, so sein Credo. Er brauche neue Perspektiven, bessere als bisher.

Da liegt mit dem Selbst-Respekt der Schlüssel zur Wende plötzlich einfach da, ganz nackt. Und schon ziehe ich quer durch den Raum eine imaginäre durchsichtige Wand, die ihn von einem leeren Sessel auf der anderen Seite trennt. Darauf, verkünde ich, habe nun jene Ressource Platz genommen, als Farbe, die ihm den ersehnten Selbst-Respekt verschaffen würde.

 

Tiefes Blau als Schlüssel

Dort sieht er ein Bild in tiefem Blau. Den Namen des Künstlers kann er nicht erinnern, wohl aber sofort das mit dem Bild verbundene belebende Empfinden wachrufen, so wie beim ersten Anblick. Ich bitte ihn, durch eine nun von mir geöffnete Tür in der imaginären Wand hinüber auf die andere Seite zu wechseln, um selbst – als Farbe – in dem leeren Sessel Platz zu nehmen.

Dort sitzt er nun als tiefes Blau, ausgerüstet mit Stift und Papier, um zu protokollieren, was meine Fragen als Antworten in ihm hervorbringen. Ein altes Blau sei er, 40 Jahre alt. Entstanden zur Zeit seiner ersten Heiligen Kommunion*, schmunzelt er, ein toller Tag, viele Geschenke und das untrügliche Gefühl, es sei ihm alles im Leben möglich.

 

Verwandlung und Verdichtung

Derweil beginnt sich ihm das Blau des Bildes in eine neue Form zu verwandeln, bis es als Naturschwamm dasitzt, verziert mit leuchtend blauen Pigmenten. Und ich, indem ich die 40 Jahre des Blaus noch einmal aufgreife und neu wende, wissen will, was es denn mit dem Klienten auf der anderen Seite auf sich gehabt habe, als dieser 40 war.

Nicht viel, meint er, jedenfalls nichts wirklich Besonderes. Ein Urlaub fällt ihm ein, den er gemacht habe damals, untergebracht in einem schicken Designerhotel, einer ehemaligen Schwammfabrik in Cornwall. Eine lustige Koinzidenz, meint er, und ergänzt im Gespräch, dass der Naturschwamm immerhin aus einem Meer stamme, seinerzeit so blau wie das Bild.

Die Dinge verdichten sich, rücken zusammen, als ob der Schlüssel im Begriff sei, das gesuchte Loch zu finden, die alles entscheidende Leerstelle, um im rechten Moment nach jener Hand zu greifen, die sie führt, um die verborgene Tür zu entriegeln, hinter der sich der gesuchte Selbst-Respekt lange vor ihm selbst verborgen hielt.

 

Loslassen und gewinnen

An diesem Punkt angelangt, bitte ich den Klienten, auf seinen Ausgangsplatz auf der anderen Seite der imaginären Wand zurückzukehren. Durch eine Tür gelangt er unversehrt wieder dorthin, belässt die Farbe auf dem Sessel. Und ich frage den Heimgekehrten, was es ihm bringen würde, die Farbe rüber zu sich in sein Leben zu holen. Selbst-Respekt sagt er, nur das.

Die eine mit der anderen Seite zusammenzubringen ist keine große Sache, erkläre ich, nicht mehr. Es bedürfe nun ja nur noch eines imaginären Knopfdruckes, um die Wand verschwinden zu lassen, so dass der Farbe Tür und Tor geöffnet sei. Doch zuvor müsse er sich über die damit verbundenen Konsequenzen Gedanken machen.

Mehr noch müsse er entscheiden, ob er wirklich bereit sei, aufzugeben, was ihm in all den Jahren ohne die Kraft dieses Blaus in seinem Leben zumindest als Gewohnheit lieb geworden sei. Was es ist, wovon es sich zu verabschieden gilt, wenn die Farbe sich seiner bemächtigt, will ich wissen. Von der Sucht, zu viel zu arbeiten und ungesund zu essen, sagt er.

Abschied auch von der leiblichen Bewegungslosigkeit, sagt er, und von der Selbstvernachlässigung zuhause. Dort habe er sein eigenes Zimmer Frau und Kindern überlassen und sich selbst so seines einzigen Rückzugspunktes beraubt. Ein ordentliches Fuder**, diese selbstschädigenden Gewohnheiten, gebe ich zu bedenken, dessen Aufgabe Folgen habe.

Vor allem Selbst-Respekt sieht er – und Selbst-Begrenzung und Selbst-Fürsorge in dessen unmittelbarem Gefolge. Doch noch frage ich beharrlich, ob er tatsächlich entschieden sei, das alte Konzept von sich endgültig zum Teufel fahren zu lassen. Ob er bereit sei, sich dem Neuen, das da auf ihn warte, wirklich anzuvertrauen, sich diesem zu verpflichten.

 

Die heilige Kommunion

Er nickt entschieden, und ich spüre, es ist so weit, der Moment ist gekommen, der es erlaubt, 40 Jahre nach der Erstkommunion nun in wieder neuem Sinne feierlich zu handeln. Und so heben wir die imaginäre Trennung der beiden Seiten auf, so dass das ersehnte Blau zu ihm auf die andere Seite kommen kann, um sich ganz mit ihm zu verbinden.

Durch die Augen nimmt er die Kraft der Farbe in sich auf und überlässt sich ihrer Wirkung in sich selbst. Ein beglückendes Gefühl überkommt mich, und ich frage mich, ob er die plötzlich verwandelte Atmosphäre auch spürt. Und in seinem Blick steht die Gewissheit eines wunderbaren Augenblickes geschrieben, die sein Leben grundlegend verändert.

 

Wir lassen uns überraschen

Doch wie das nun gehen könne, fragt er sich selbst, er sei gespannt. Neugierig darauf, wie die Änderungen in seinem Leben ihren Platz finden werden. Eine Antwort gibt es schon, aber auf eine andere Frage. Die Dinge werden nie wieder, wie sie waren. Wir sind gespannt auf neue Überraschungen, die das Drehbuch der nächsten Sitzungen füllen werden, so viel ist sicher.



Glossar:
* Kommunion: (lat. communio „Gemeinschaft“) bzw. Erstkommunion
**Fuder: Abgeleitet ist das Fuder von der "Fuhre" (Ladung), die ein zweispänniger
   Wagen (auch Leiterwagen bei Korn, Heu und Holz)
 laden konnte.


Ausgewählte Literatur zum Burn-out:
Fabach, Sabine: „Burn-out. Wenn Frauen über ihre Grenzen gehen“, Orell Füssli, Zürich 2007
Ruhwandl, Dagmar: „Erfolgreich ohne auszubrennen“, Klett Cotta, Stuttgart 2007


Außerdem speziell für Medienschaffende:
Kathrin Gerlof hat unter dem Titel „Ausgebrannt“ einen interessanten Beitrag über das Stress-Sydrom unter Medienschaffenden geschrieben. Dort finden sich weitere interessante Links und Quellen.)

 

Erstveröffentlichung im Blog: 17.07.2009
Kommunion im Coaching mit Medien-Manager

 

 

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