Mongolische Eindrücke: Coach Morrien erkundet Asien auf ihre Art

Von einer Achtjährigen, die mit vier kurzen Briefen von einer langen Reise heimkehrt, ganz glücklich, und sich darin einfach mitzuteilen versteht.

Birgitt E. Morrien

 

EINSTIMMUNG

Himmlische Botschaften 
– Die Stimme der Achtjährigen

 

HAUPTGESÄNGE

1. Uns wieder zu verbinden, endlich 
–   Die Stimme des Schamanen

2. Westmongolischer Segen, weiblich
–    Die Stimme der jungen Schamanin

3. Die Schneeseiten des hohen Altai, sommerlich
–    Die Stimme der Berge

4. Jenseits des Winters, kalt
–    Die Stimme des Schnees


AUSKLANG 

Von klagender Rückkehr und gelassener RückSicht
– Stimmen, mir nah


 

EINSTIMMUNG

Himmlische Botschaften
– Die Stimme der Achtjährigen


Die Zettel sind zu mir gekommen wie der Regen vom Himmel. Einfach so sind sie mit vielen kleinen Steinen in meinem Schirm gelandet. Blitzschnell hatte ich den falsch rum aufgespannt, als die ersten Wassertropfen fielen. Da drin lag das Papier dann nass und müde. Ganz vorsichtig hab ichs glatt gestrichen und an einer alten Gummileine zwischen unserer und der Nachbarjurte aufgehängt.


Durch Sonne und Wind waren die Zettel bald trocken, und da konnte ich langsam lesen, was drauf geschrieben stand. Einiges davon war gleich zu verstehen, aber alles doch nicht. Dafür bin ich wohl zu jung, da warte ich eben noch etwas. Bis dahin will ich einfach weiterspielen und euch die Sachen schon mal lesen lassen. Ihr seid schließlich alt genug dafür.


HAUPTGESÄNGE

1. Uns wieder zu verbinden, endlich
–   Die Stimme des alten Schamanen 

Ich bin vom Himmel gefallen wie alle deine Zettel in deinen Schirm. Mit einem großen Regen kam ich vor mehr als sechzig Jahren auf die Erde und wurde dank dessen Macht schon früh bis nach Deutschland gespült. Dort sollte ich deine Sprache lernen, um dir darin zu erzählen, woher ich komme und wohin ich gehe.

Mein Land ist weit und wenig bewachsen. Keine Bäume halten die starken Winde mehr auf, die darüber hinwegfegen. Alle sind längst gefällt und mit ihnen auch meine geistigen Lehrer/-innen verloren, unter Stalin ermordet. Geblieben aber sind mir die kräftigen Stimmen von Himmel und Erde, mich bei Tag und bei Nacht zu unterrichten über den Lauf der Dinge.

Ihre Worte nehmen mich oft ganz ein und wühlen mich auf zu stürmischen Gesängen. Manchmal in meiner Sprache, manchmal in deiner, um tosend aus mir herauszubrechen. Mich zu schütteln wie Espenlaub und so Gefügigkeit zu lehren. Nur dann folgt meine Feder dem himmlischen Diktat. Lässt mich sprachlos zu Wort kommen.

Beauftragt, ein Wissen weiterzuleiten, von deinem Herzen bange willkommen geheißen. Den rasenden Hunger der alten Welt zu stillen. Panzersprengendes Backwerk. Von deinen Händen zu neuen Wesen formbare Zutat. Eis versengende Blickkraft, Wälle aufzutauen, die uns Äonen voneinander trennten. Lebensbefreiender Mauerfall.


2. Westmongolischer Segen, weiblich
–   Die Stimme der jungen Schamanin

Hier treffen wir uns beide jung. Ich** mich versteckend hinter bunten Federn. Fellkleid alter Tradition. Mich so zu sichern, wo mir sonst kein Schutz blieb. Bin ich doch oft gestürzt, bewusstlos gelegen, wieder und wieder erwacht, mich immer neu zu erschaffen. Nach rotem Fadenmuster bin ich tief gestrickt, ewig zu halten.

Dein Lachen lockt mich vor. Lässt mich den Vorhang kurz beiseite schieben, dir licht ins Herz zu sehen. Lässt meine Hand zum Schlegel greifen, die Trommel leicht für dich zu schlagen. Der Rhythmen Wissen durch dein Staunen Raum zu geben, darin sich dir zu zeigen, wo du im Einklang bist, ganz angeschmiegt, bereit zu folgen.

Hier trifft sich alle Zeit im Jetzt. Hier tanzen wir zu zweit, zu dritt, zu vielen. Fliegen unsere Kleider im Sturm kräftiger Schritte feurig aufeinander zu. Leuchten wir in lang ersehnter Weise machtvoll auf. Singen, unserer Selbst wieder sicher, längst vergessen geglaubte Lieder aus tiefster Kehle. Lieben, wo Licht die alten Schatten vertrieben hat, einander unbändig. 

Da springt die Truhe auf, von deren Schätzen wir schon immer wussten. Wiehernd halten wir den goldenen Schlüssel in Händen. Jaulen mit den Hunden und teilen das wohlige Grunzen der Yaks um uns herum. Lauschen fröhlichem Pfeifenspiel. Das Leben ist besiegelte Sache. Von hier aus geht es nur noch ins Licht.


3.  Die Schneeseiten des hohen Altai, sommerlich
–    Die Stimme der Berge

Die weißen Massen meines mächtigen Rückens*** sind gigantisch und doch schmilzen sie mehr denn je. Das bedrohliche Schwinden meiner Gletscher gefährdet das Überleben der Nomaden, denen ich seit Tausenden von Jahren Heimat bin. Seit jeher besingen die Tuwa meine berauschende Schönheit.


Diese Weite ist zu weit

   für Worte

die sich darin verlieren

wie der lichte Schnee auf

               dem Bergrücken / hoch

                         vor mir

an einem windigen Sommermorgen /

    früh


Am schwarzen See 

wassergetragene Lust,

mich ganz treiben zu lassen

den Blick frei für neue Anfänge

                                   am Ende

       Grenzen zu überschreiten

    in andre Welten,

                     mir fremd, wo

mitten im Sommer

               Schnee sein Zuhause hat

        hoch oben / Gipfel nah

            Schwindel sich einstellen könnten

oder die Schwingen mir

        unbekannter Vögel / mich

    sicher nach Hause zu tragen


4. Jenseits des Winters, kalt
–    Die Stimme des Schnees

Mein eisiges Vermögen reicht abgrundtief und schon im Sommer kitzele ich die Menschen gern an ihren schlafenden Füßen, mich auch im Dunkeln sternenklar zu erinnern:

Dieses Land ist mir auch im Sommer Himmel und Hölle zugleich.

Die Tage vergehen reitend durch ewige Steppen, an der Quelle des weißen Berges mich stärkend, am Nachmittag zu einer Murmeltier-Delikatesse eingeladen und nachts Stunde um Stunde wach liegend, nur von kurzen Schlafpausen unterbrochen.

Was der Wechsel von Sommer und Winter die Tuwa lehrt, zeigt sich mir schon in der Zusammenschau von heißen Tagen und kalten Nächten im Juli: Die alten Gesetze gelten noch immer. Mich ihnen anzuschmiegen bin ich gefordert. Hier

wie im urbanen Westen.

 

AUSKLANG

Von klagender Rückkehr und gelassener RückSicht
–  Stimmen, mir nah

Uhrzackig steht mir der Sinn. Ruckelt mein innerer Zeiger sich wieder zurecht. Dreht zitternder Hand die Heizung auf. Sucht Trost gegen die stille Verlorenheit weit Heimgekehrter.

Wo diese um sich greift, gierig bis in fernste Träume reicht, bin ich heut’ zu Haus. In fester Haltung. Von Krawatten tragendem Zittern angenommen. Kostümwattiert, mich kalt zu fühlen.


Wieder da

Zurück hier
finde ich meine Lieder
       nur in Sommerbäumen
         abendlich sich lüftend
                     meine Blicke
freizugeben für feierliche
Stunden lang allein bin ich eins
maßlosem Blätterwerk verbunden:
                                wohlgeordnet
             mildes Chaos, mich
              weich zu betten
      wo ich hart gefallen bin
                             zurück 
                     in diese Zeit


Haltlos bin ich mir geworden, windgetrieben ohne Richtung. Mir selbst fassungslos, geb’ ich mich geschlagen. Bin am Boden, selbstvergessen in Erinnerung.


Geheilt

Wieder streift mich
       dein Lächeln / wacht
über mich auch hier / bin ich
       mir deiner ganz sicher
spüre noch immer
    die Sanftmut
        in deinem Blick
heiter


ANHANG

Vier-Fotoeindrücke**** 

von meiner Sommer-Reise in den Altai

Die Weite

Dasitzen

Zusammen

Warten


Ausgewählte Literaturtipps:

Sachbücher:

Der singende Fels. Schamanismus, Heilkunde, Wissenschaft.
Galsan Tschinag im Gespräch mit Klaus Kornwachs und Maria Kaluza.
Hrsg.: Maria Kaluza, Unionsverlag 2009

Der Schamane. Begegnung mit Galsan Tschinag.
Marlis Prinzing, Professorin für Journalistik, Ullstein Verlag 2010
Siehe Kapitel 6: "Wie westliche Heiler und Coaches das Schamaniscshe kommunzieren und interpretieren"
u. a. am Beispiel von Kommunikationsberaterin und Senior Coach Birgitt Morrien (M.Sc./USA, DBVC, DGSv, dju, DPRG)

Mongolei. Amelie Schenk, C.H. Beck 2006

Im Land der zornigen Winde. Amelie Schenk & Galsan Tschinag, Unionsverlag 1999

Schamanische Bewusstseinsreisen. Vera Griebert-Schröder, Südwest 2007


Prosa:

Alle Titel von Galsan Tschinag. Mein klarer Favorit: „Der weiße Berg“. Als Einstieg jedoch eher geeignet: „Der blaue Himmel“.

Kuraj. Silvia di Natale, Roman, List Taschenbuch, München 2006. Die Geschichte eines Nomadenmädchens, das 1948 nach Deutschland kommt, um dort aufzuwachsen.

Wiedersehen in Lhasa. Claire Scobie, Frederking & Thaler 2007. Die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft zweier Frauen.


Reisemöglichkeiten:

Galsan & Galtai Tschinag, Central PO Box 711, Ulaanbaator, Asia / Mongolei

Unterstützungsmöglichkeiten: 

Die neu gegründete Galsan-Tschinag-Stiftung widmet sich dem Überleben der Tuwa-Nomaden. Es werden darüber gezielt Selbsthilfeprojekte vor Ort gefördert. Insbesondere sollen künftig Frauen durch Mikrokredite darin unterstützt werden, ihre (klein-)gewerblichen Aktivitäten weiter ausbauen zu können. Siehe auch: Freunde des Altai e.V.


*Galsan Tschinag, Schamane und vielfach ausgezeichneter Autor, der in deutscher Sprache das (Über-)Leben der westmongolischen Tuwa-Nomaden beschreibt, dessen Stammesoberhaupt er zugleich ist. 

** A., junge Tuwa-Schamanin, die hier namentlich ungenannt bleiben möchte, um langsam in ihre Aufgabe hineinwachsen zu können. Es sind vor allem Frauen, die erfolgreich als schamanisch Praktizierende in Erscheinung treten. Männern fällt die Anpassung an die neuen kapitalistischen Lebensbedingungen schwerer. Großes Problem: Alkoholismus.

***Der Altai ist mit rund 3000 Kilometer Länge der größte Gebirgsrücken weltweit.

****Aufgenommen mit einer Leica R9

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