Köln-Coach berufen zum Krippendienst im Schatten der Kathedrale

Zu Chanukka hat die evangelisch-lutherische Kirche Birgitt E. Morrien eingeladen, zum Thema „Wüste und Exil“ zu predigen. Für die Ex-Katholikin und Frau freien Glaubens eine besondere Ehre, aus ihrer Erfahrung heraus sprechen zu dürfen, zumal in der Antoniterkirche mitten in der Kölner Innenstadt.

Der Text wurde von Birgitt E. Morrien nachträglich eingelesen. (Podcast)

 

Wann immer von Wüste gesprochen wird, denke ich an

DIE HOHE SCHULE

Nur wer die Wüste durchquert,
entwickelt Besonderes
für besondere Aufgaben.

 

DER ANFANG meiner Hohen Schule begann mit dem Tod meines Vaters.
Er starb, als ich 5 Jahre alt war. 

Vielleicht hängt damit ja mein erster Berufswunsch zusammen:
Ich wollte Priesterin werden.

Wohl auch, um mir qua Amt den direkten Draht nach oben zu eröffnen;
um Papa da durch die eine oder andere Hintertür womöglich
doch noch mal zu begegnen.

Leider musste ich jedoch bald erkennen, dass mir die Laufbahn als Priesterin in der katholischen Kirche verwehrt ist.

Daraufhin beschloss ich eben, Heilige zu werden. Und wirklich, ich gab mein Bestes, um das wahr zu machen.

 
Allerdings musste ich mir mit 13 eingestehen, dass ich mich in eine Schulfreundin verliebt hatte. Was ich für mich gesehen ganz prima fand. Nur hatte ich leider noch von keiner lesbischen Heiligen in der katholischen Kirche gehört.

Daraufhin verlegte ich mich auf die hohe Tugend der Buße. Und meine Beichtfrequenz war rekordverdächtig, bis sogar meine fromme Mutter skeptisch wurde, weil ich mich nervlich selbst an den Rand zu bringen drohte.

Gott sei Dank wendete sich das Blatt: Gerade noch rechtzeitig entdeckte ich
die heilige Pflicht der Rebellion und der Agitation gegen die Kirche. Als junge Sozialistin war ich ob meiner Flugblätter bald im ganzen Dorf bekannt.

 

Im späteren Studium* kam ich schließlich mit dem Feminismus in Berührung, dessen Hohepriesterin ich wurde. 

Landauf, landab reiste ich mit meiner damaligen Freundin, um die Diaspora mit dem Manna meiner lesbisch-feministischen Metaphern zu versorgen.

 

Nach dem Studium folgte die Berufsfindung – oder besser noch: die Berufssuche.

Es war der Anfang einer Wüstendurchquerung;

der Beginn einer wahrhaften Odyssee, die
als verschiedene berufliche Stationen und Fortbildungen** in mein Leben trat:

War ich gerade irgendwo angekommen, musste ich doch bald wieder weiter.
Ich war zur ewig Rastlosen geworden, zur großartigen Fragenden,
die oft weder ein noch aus wusste.

Seither weiß ich, was Wüste heißt:
Ohne Richtung zu sein. Wie im Nebel verloren

Tage zu erleben wie ohne Sonne
Nächte wie ohne Mond
Alleingelassen / ohne Sterne

 

Diese Hohe Schule der Wüstenjahre lehrten mich vor allem Durchhalten,
oft wider jeden Sinn; sie lehrten mich Glauben an das
Irgendwas-ist-da-sonst-noch-das-mich-trägt.

Und das völlig unabhängig von allem Katholischen, dem ich noch immer angehörte.

In diesen Jahren fielen in mir selbst die Mauern, und ich brach zu meiner eigenen Lebendigkeit durch.
Auch zwischen den andren und mir fielen die Mauern, und ich lernte, mich in ganz neuer Weise anzuvertrauen.

Die Hohe Schule lehrte mich 13 Fächer:
 

  • Lebenskunde: Eigene Wege wagen, auch außerhalb der Norm
     
  • Zivilcourage: Sozialem Ausschluss & Anfeindungen standhalten
     
  • Liebeskunde: Lieben lernen unter allen Umständen
     
  • Autobiografie: Sinnstiftung im Spiegel der eigenen Geschichte
     
  • Intuition: Am Tabu geschulte differenzierte Wahrnehmung
     
  • Soziale Vielsprachigkeit: Zwischen den Zeilen lesen lernen, um Verständigung auch unter erschwerten Bedingungen zu ermöglichen
     
  • Empathie: Empfindungsstärke für die Belange anderer entwickeln
     
  • Kreativität: Bilder des Begehrens schaffen / bedeutsam
     
  • Handelnskunde: Dem Herzen folgen / eigenmächtig
     
  • Autoritätskunde: Zu sich stehen für mehr natürliche Autorität
     
  • Heimatkunde: Sich selbst beheimaten im Unwägbaren
     
  • Lösungskunde: Wege gehen, die mit dem ersten Schritt beginnen
     
  • Spiritualität: Öffnung für die Gnade als Ressource

 

Alles, was ich heute bin***, habe ich entschieden diesen schweren Jahren zu verdanken.

Aller Mut, den ich habe und den ich nun machen kann, ist in der Wüste geboren.

Die Wüste selbst war Bedingung für meine Aufgabe jetzt:
Glaubhaft zu verkünden, dass Leben Sinn hat.

unter allen Umständen /
weitergehen sich lohnt /
Vertrauen!

 

 

* Gemeint sind hier vor allem meine Berliner Jahre (1985-88), die Lebens-, Arbeits- und Studienzeiten in Bonn, Boston, Marburg und Münster folgten und meiner Kölner Zeit vorausgingen. 

** Freiberufliche und leitende Tätigkeiten insbesondere in der Kommunikations- und Medienbranche. Meist begleitet von jeweils mehrjährigen Fortbildungen in Journalismus, Supervision & Spiritueller Kompetenz in der Management-Beratung.

*** Für meine Aufgabe als Coach, der ich mich mit meinen Partner/innen seit 1995 in eigener Beratungspraxis widme, ist mir mein Wüstenwissen von unschätzbarem Wert. Mehr noch als alle fachliche Kompetenz, die ich im professionellen Setting als selbstverständlich voraussetze. Wüstenwissen ebnet Wege, wo keine sind.
 

 

Lesetipps für alle, die  – wie auch ich – Kinder eines Kriegsheimkehrers sind:

"Die Gesellschaft der Überlebenden" von Svenja Goltermann (DVA 2009)

"Seelische Trümmer – Geboren in den 50er- und 60er-Jahren: Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas"  von Bettina Alberti (Kösel 2010)

"Kriegsenkel – Die Erben der vergessenen Generation" von Sabine Bode (Klett-Cotta 2009)

 

Erstveröffentlichung im Coaching-Blogger Dezember 2009

 

Karrieren für Vielseitige

Schreibe einen Kommentar