Für eine funktionierende Kommunikation ist es wichtig, dass der Sprechende eine Ahnung von den Bildern hat, die er mit seinen Worten im Kopf des Zuhörers auslöst. Ansonsten können leicht Missverständnisse zwischen Gesprächspartnern entstehen.
Vor diesem Hintergrund gestaltet sich die Kommunikation zwischen Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund besonders schwierig. Die Spitzer Journalistin Sylvia Greßler über die Besonderheit sibirisch-deutscher Verständigung am Beispiel landestypischer Gepflogenheiten.
Vor einigen Jahren arbeitete ich als Deutschlehrerin in einem sibirischen Ferienlager unweit der Erdölstadt Tjumen. In diesem Camp verbrachten Kinder zwei Wochen ihrer Sommerferien. Auf dem Programm stand vormittags Deutschunterricht, nachmittags fanden verschiedene Freizeitaktivitäten (Klettern, Theaterspielen, Basteln usw.) statt. Da ich die einzige Lehrkraft war, die aus Deutschland angereist war – meine Kolleginnen lebten alle in Tjumen oder in den Dörfern der Umgebung -, brachten die Camp-Teilnehmer mir besonders großes Interesse entgegen.
Im Unterricht hörten sie sehr aufmerksam zu, darüber hinaus hatten sie viele Fragen zu Deutschland und den Deutschen auf dem Herzen. Um diesen Wissensdurst zu stillen, beraumte die Leiterin des Feriencamps regelmäßig eine „Fragestunde mit unserem Gast“ an. Neben der für Russen typischen Frage nach dem Gehalt der ein oder anderen Berufsgruppe in Deutschland und ob man auch – wie in Russland häufig – morgens vor der Schule heißen Brei essen müsse, fragte mich in einer solchen Stunde ein kleiner Junge, ob es wahr sei, dass die Deutschen ihren Gästen bei einem Besuch erlaubten, mit den Straßenschuhen die Wohnung zu betreten?
In Russland ist es üblich, dass der Gastgeber dem Gast im Eingangsbereich der Wohnung Filzpantoffeln oder selbstgestrickte Hausschuhe hinlegt, damit dieser seine Schuhe gegen warme Puschen tauschen kann und in diesen die Zimmer betritt. Ich erklärte nun den Kindern, dass der russische Brauch bei uns eher unüblich sei und wir den Gästen meistens erlauben, das Wohnzimmer mit den Schuhen zu betreten, in denen sie von der Straße gekommen waren.
Nach dieser Antwort schaute ich plötzlich in staunende, teilweise sogar entsetzte Kinderaugen. Einige Sekunden herrschte absolute Stille, dann brach es los: “Oh je, sind die Deutschen aber Ferkel.“ “Mein Gott, wie mag es bei denen im Wohnzimmer aussehen.“ „Der ganze Teppich total verdreckt.“ Diesen Ausrufen folgten ein allgemeines Gelächter und Gekicher, dabei malten sich die Kinder ein deutsches Wohnzimmer nach einem Besuch von Gästen aus.
Ich war ob dieser Reaktion leicht irritiert und blickte ratlos zu meinen russischen Kolleginnen, aber auch sie guckten mich ungläubig an. Der Lärm unter den Kindern wollte lange nicht abklingen, doch irgendwann sorgte die Leiterin für Ruhe. Es wurden noch einige weitere Fragen an mich gestellt, und ich vergaß den Vorgang. Wieso ich den Kindern einen solch lustigen Abend beschert hatte, konnte ich mir erst Tage später erklären.
Bei einer Autofahrt von Tjumen nach Tobolsk, einer Stadt, die unter den Zaren vielen Menschen als Durchgangsort auf ihrem Weg in die sibirische Verbannung gedient hatte, machten wir einen kurzen Zwischenstopp in einem Dorf. Es lag unweit der großen Trasse, die die beiden westsibirischen Städte verband. Unser Auto bog auf eine unbefestigte, mit Kuhfladen übersäte und von Traktorenrädern zerfurchte Dorfstraße, dabei wirbelte es eine enorme Staubwolke auf.
Wie unser Wagen so dahinrumpelte, stellte ich mir plötzlich diese Straße während der Schneeschmelze im Frühjahr und nach einem heftigen Regenschauer im Herbst vor. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie sich die Kinder aus meinem Sprachlager zur Dorfschule durch eine Schlammschicht kämpften und zäher, klebriger Dreck jeden ihrer Schritte erschwerte. Ich ahnte, wie ihre Stiefel aussehen mussten, wenn sie in der Schule bzw. nachmittags daheim ankamen. Aber auch jetzt im Hochsommer blieben die Schuhe nicht sauber, sondern waren sicherlich schon nach einigen wenigen Schritten von einer dicken Staubschicht bedeckt. Tja, einem Gast mit derart verschmutzten Schuhen würden die Deutschen wohl auch Hausschuhe hinhalten, wenn er die Wohnung betreten wollte. Ich musste lachen. Wie schwierig Kommunikation doch sein kann!
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