Die Oligarchen sind unter uns
Zwei Drittel der Bevölkerung in Deutschland besitzen so gut wie nichts, das reichste Zehntel verfügt über 61 Prozent des Gesamtvermögens. Ein Prozent verfügt gar über ein Viertel aller Vermögenswerte. (…)
Weltweit sieht es noch extremer aus: Zwei Prozent halten mehr als die Hälfte allen Vermögens. Im Jahre 2011 gabe es weltweit 1210 Dollarmilliardäre mit einem kumulierten Vermögen höher als das Bruttoninlandsprodukt Deutschlands.
Und von der massenhaften Verelendung der letzten Jahre – die Krise hat 40 Prozent des Privatvermögens der Mittelklasse vernichtet – haben die Reichsten der Reichen profitiert.
Mit dem Jahreseinkommen eines der zehn reichsten US-Amerikaner könnten alle 633 000 Obdachlosen in den USA für ein Jahr würdevoll untergebracht werden (setzt man eine Miete von monatlich 558 Dollar an).
Die zehn erfolgreichsten Hedgefonds-Manager rafften im Jahre 2012 10,1 Milliarden Dollar zusammen – mit diesem Geld könnte man 250 000 Grundschullehrer_innen oder 196 000 Krankenschwestern und -brüder einstellen.
Wen das nicht schockiert, hat weder Herz noch Verstand. (…)
Die öffentliche Debatte bleibt zahm, weil sie unter einem Tabu leidet. (…) Wir diskutieren nicht, ob Demokratie mit Vermögenskonzentration überhaupt vereinbar ist. (…) Beharrlich hält sich die Auffassung, es sei falsch, gar böse, massiv konzentrierten Wohlstand zu verhindern oder zu zerschlagen. (…)
Extremes Vermögen erlaubt einem, die eigenen Kerninteressen auf umfangreiche Weise zu schützen. (…) Es entgehen dem Bund aufgrund von laxer oder zu schwieriger Verfolgung von Steuersündern jährlich atemberaubende 70 Milliarden Euro. Steuerbetrüger hätten schon mehr als 500 Milliarden Euro außer deutschen Landes gebracht. (…)
Die enorme Ungleichheit als gesellschaftliches Problem wird mit der Schutzbehauptung weggewischt, (…) das Wohl der Wenigen komme der Mehrheit zugute, was empirisch so sehr bewiesen ist wie die unbefleckte Empfängnis. (…)
Der beschäftigte Bürger soll glauben, dass jene, die langfristig oder gar permanent keinen Beitrag zum Wohlstand der Nation leisten (der ja zum größten Teil der Wohlstand der Wenigen ist), weil sie keiner Lohnarbeit nachgehen, per se eine parisitäre Existenz führen.
Hat man das einmal verinnerlicht, liegt die unsentimentale Frage nahe, wieso die Gesellschaft solche Parasiten durchfüttern soll. Alle propagandistischen Wege führen dann zu der logischen Schlussfolgerun: Es gilt die Armen zu bekämpfen, nicht die Armut.
Quelle:
Ilija Trojanow: Der überflüssige Mensch. München: DTV 2015