Das tanzende Paar der eitlen Liebe wiegt sich selbstverliebt im gemeinsamen Rhythmus. Es zeigt bildlich, wie sich Partner in narzisstischen Beziehungen erleben: Sie liegen sich in den Armen, sind sich körperlich nah, aber sie sehen sich nicht. Gerade der enge körperliche Kontakt verhindert den Blick auf den anderen, denn um jemanden sehen zu können, brauchen wir etwas Abstand.
Auch scheint es, als sei jeder mehr mit sich selbst beschäftigt und brauche den anderen nur, um den Tanz zu vollführen. Die Begegnung wird dadurch zum Vehikel der Selbstdarstellung. Solange der Mann der Frau das Gefühl gibt, besonders und unwiderstehlich zu sein, fühlt sie sich begehrt und geliebt. Sie ihrerseits vermittelt dem Mann Besitzerstolz, denn womit schmückt sich ein Mann lieber als mit einer schönen Frau – das Auto einmal ausgenommen?
Dieses Szenario ist an sich nicht ungewöhnlich, denn jede Begegnung kann einen narzisstischen Nutzen haben, indem das Gegenüber das eigene Selbstwertgefühl stärkt. Das finden wir in Zweierbeziehungen ebenso wie in Freundschaften oder Nachbarschafts- und Arbeitsbeziehungen. Lob, Anerkennung und Zuwendung bestätigen uns als Person, verbessern unser Selbstbild und machen Lust auf mehr Kontakt.
Diese Form der narzisstischen Dynamik ist positiv und daher erstrebenswert: Personen, die uns zugewandt sind, suchen wir auf, da wir uns durch sie geachtet und wohl fühlen, Menschen, von denen wir uns abgelehnt fühlen, meiden wir. Wie stark ein Mensch nun in seiner Selbsteinschätzung von der Bestätigung anderer abhängt, entscheidet über die Art und Weise der Beziehung.
Ein Mensch mit einem eher stabilen Selbstwertgefühl, der um seinen Wert weiß, wird die Zuwendung und Anerkennung positiv nutzen können und sich darüber freuen. Ein Mensch mit einem geschwächten oder instabilen Selbstwertgefühl dagegen wird die Zuwendung notwendig brauchen, um sich nicht abwerten zu müssen und ein Minimum an Selbstwertgefühl aufzubauen. Er ist in größerem Maße abhängig von der positiven Einschätzung der anderen, um seine Selbstzweifel zumindest vorübergehend in Schach zu halten.
Das hat Konsequenzen für die Beziehung, denn er wird sich entweder anpassen, um geliebt zu werden oder sich großartig darstellen, um bewundert und verehrt zu werden. Diese beiden Varianten sind zwei grundlegende narzisstische Reaktionsmuster: die minderwertige oder depressive und die grandiose Form. Natürlich haben auch Menschen mit einem stabilen Selbstwertgefühl Selbstzweifel, wenn ihnen etwas nicht gelingt oder sie sich zurückgewiesen fühlen, besitzen jedoch genügend „seelisches Handwerkszeug“, um nicht in eine Minderwertigkeitsdepression zu verfallen. Auch bei Misserfolg und Verlassenheit bleibt ihnen ein ausreichendes Quantum an Selbstwertgefühl und Selbstliebe erhalten.
Anders stellt sich die Situation bei Menschen dar, die ein schlechtes Selbstwertgefühl besitzen und sich permanent beweisen müssen, gut zu sein. Sie haben ein narzisstisches Defizit, das sie durch Zuwendung, Anerkennung, Erfolg, Beleibtheit, Statussymbole oder besondere Leistungen auszugleichen versuchen. Auch wenn sie geliebt und geschätzt werden, bleibt der Selbstzweifel, ob der andere es auch ehrlich meint. Ihre Selbsteinschätzung ist so schlecht, dass sie sich gar nicht vorstellen können, dass jemand sie wertschätzen könnte.
Das sind die so genannten depressiv-narzisstischen Menschen, die überall Ablehnung vermuten und das Positive nicht für sich gelten lassen können, außer sie erfüllen übersteigerte Erwartungen an sich. Nur, wenn sie besser sind als alle anderen, sind sie in Ordnung. Erfüllbar ist diese Idealvorstellung nicht, weshalb sie immer hinter ihren Erwartungen zurück bleiben und sich als Versager fühlen. Ihr Selbstwertgefühl wird dadurch immer instabiler.
Die andere Variante sind die so genannten grandiosen Narzissten, die im Grunde auch nicht viel von sich halten, ihr Mangelgefühl aber durch Großspurigkeit überdecken und sich vormachen, die Größten zu sein. Sie erlauben sich ihre Selbstzweifel gar nicht, sondern projizieren sie auf die anderen. Die sind dumm und unzulänglich, sie selbst unübertroffen gut. In Zweierbeziehungen entpuppt sich ein grandios narzisstischer Mensch häufig als eitel, egozentrisch und selbstbezogen, verbunden mit viel Leid für den Partner oder die Partnerin.
Das anfänglich überwältigende Gefühl, das beide füreinander haben, wird getrübt und die Hoffnung auf gegenseitige Liebe und Einfühlung zerplatzt. Und trotzdem können sie sich nicht trennen, weil ihnen dann der andere fehlt, um ihr eigenes Selbstwertgefühl zu stärken. Häufig haben nämlich beide Partner ein narzisstisches Defizit, der eine lebt es grandios überhöht, der andere depressiv minderwertig. Sie brauchen sich gegenseitig, um sich zu bestätigen.
Das führt zur eitlen Liebe, die in erster Linie den Liebenden selbst und der Erhöhung ihres Selbstwertes dient und erst in zweiter Linie, wenn überhaupt, ihren Partnern. Diese defizitäre narzisstische Dynamik bedeutet, dass Begegnungen primär zum eigenen Nutzen gestaltet werden, manchmal sogar auf Kosten des Gegenübers. Das geschieht nicht nur in Zweierbeziehungen, sondern auch in Freundschaften, in der Familie, in der Therapie und in beruflichen Zusammenhängen.
Daraus entstehen große Spannungen, Verletzungen, Manipulationen und Kränkungen bis hin zum Abbruch der Beziehung. Nachdem ich in meinem Buch „Weiblicher Narzissmus – Der Hunger nach Anerkennung“ schwerpunktmäßig die weibliche Form der narzisstischen Persönlichkeit beleuchtet habe, möchte ich mich in diesem Buch der narzisstischen Dynamik in Beziehungen widmen. Denn es kommen immer wieder Frauen und Männer in meine Praxis, die darunter leiden, dass sie sich in ihrer Partnerschaft / Freundschaft oder im Beruf nicht gesehen und wertgeschätzt fühlen.
Oder sie fragen, wie sie mit ihrem narzisstischen Partner, ihrer Partnerin, ihrem Freund oder Angehörigen umgehen sollen. Zum Verständnis der narzisstischen Dynamik in Beziehungen habe ich dieses Buch geschrieben. Ich möchte erklären, was Menschen motiviert, sich über die Maßen selbstbezogen zu verhalten und wie das Gegenüber sich gegen daraus resultierende destruktive Verhaltensweisen wappnen kann. Denn häufig suchen sich narzisstische Menschen ein Umfeld, das ihr Verhalten sogar noch unterstützt.
Eine mögliche Lösung liegt darin, seinen persönlichen Wert vom narzisstischen Gegenüber loszulösen und zur eigenen Lebendigkeit und Autonomie zurückzukehren. Vor diesem Hintergrund kann sich der liebende Blick für den Partner, die Partnerin, für Freunde oder Geschwister entwickeln. Der liebende Blick bedeutet nicht nur die grundlegende Bejahung der anderen Menschen, sondern auch des eigenen Seins und der eigenen Person.
Statt nach narzisstischer Manier allein im Außen Bewunderung und Anerkennung zu suchen, können sie Ihre Selbstliebe, ihren positiven Narzissmus stärken. Mein Anliegen ist es, ein Verständnis zu entwickeln sowohl für dysfunktionale Beziehungsmuster, die aus narzisstischen Motiven heraus entstehen, als auch für die seelischen Nöte der Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitszügen. Was die Begriffe Narzissmus und narzisstisch bedeuten, versuche ich in einem eigenen Kapitel zu erläutern, da sie auch in Fachkreisen zum Teil kontrovers diskutiert werden. Dieses Buch ist weder ein Partnerschafts-Ratgeber noch einer über die Liebe oder das Gelingen von Beziehungen. Es ist ein Lesebuch für das, was auf Grund des narzisstischen Themas zwischen Menschen passiert.“
Ein Buch über narzisstische Beziehungen > Narzisstische Liebesbeziehungen sind wie ein Feuerwerk, das, wenn es abgebrannt ist, „dicke“ Luft und Brandgeruch hinterlässt. Doch das nimmt jeder Betrachter gerne in Kauf, denn er bekommt dafür eine märchenhafte Darbietung, wenn auch leider nur für eine kurze Zeit. Verliebtheit, sich gegenseitig verführen, verschmelzen in der gemeinsamen Grandiosität, das ist wie Feuerwerk. Die Gefühle sind heiß, die Begierde ist groß, das Erlöschen folgt auf dem Fuß.
„Meine Beziehungen sind wie ein Lauffeuer. Das Feuer meiner Verliebtheit brennt so stark, dass es immer wieder zum Flächenbrand kommt. Meine Sehnsucht, Leidenschaft und Erwartungen sind so heftig, dass sie den anderen in die Flucht schlagen. Und dann bleibe ich in meinem Elend allein zurück und weiß, dass ich viel zu schnell viel zu viel wollte. Doch immer wieder falle ich drauf rein.“
In narzisstischen Beziehungen dreht sich alles um den eigenen Vorteil, alles steht im Dienste des eigenen Selbst: die Auswahl des Menschen, auf den ich mich einlasse, die Art, wie ich mit ihm umgehe, die Entscheidung, was ich von mir zeige und was nicht, sowie die Erwartung, was der andere für mich erfüllen soll. Es geht weniger um den anderen Menschen an sich, als mehr um die Funktion, die er für mich, und das heißt in diesem Fall, für mein Selbsterleben hat.
Narzisstische Beziehungen sind selten dauerhaft befriedigend, erfüllend, nährend oder glücklich. Oft enden sie, bevor sie wirklich begonnen haben und hinterlassen das unangenehme Gefühl des eigenen Versagens oder der Unzulänglichkeit des Beziehungspartners. Oder sie verlieren im Lauf der Jahre ihren Glanz und das, was als Anziehung einmal da war: die Idealvorstellung eines untrüglichen, gemeinsamen Glücks.
Verbunden ist damit ein persönliches Leid, da die betroffenen Menschen unzufrieden, ängstlich oder frustriert zurückbleiben. So, als wenn sie ein Feuerwerk mit einem Kerzenleuchter verwechseln. Das Feuerwerk ist die „heiße“ Anfangsphase vieler Beziehungen, doch damit kann man sich keine gemütliche Atmosphäre im Wohnzimmer schaffen. Dazu brauchen wir beständiges Kerzenlicht, das nicht so aufregend, dafür aber stetig brennt.
Kernberg schrieb über die reife Liebe: „Die anfängliche Leidenschaft mag von kurzer Dauer sein, doch die Fähigkeit beider Partner, eine tiefe Beziehung einzugehen, hilft ihnen, die heiße Flamme der Leidenschaft in ein sanftes Glimmen der Partnerschaft umzuwandeln.“ Das gelingt in narzisstischen Beziehungen kaum, denn dort begegnen sich in der Regel zwei Menschen mit einem verletzten Selbst. Daraus entstehen die charakteristischen Konflikte wie Entwertung und Erhöhung des anderen und der eigenen Person, die Angst vor Nähe und zugleich vor Einsamkeit, der Wunsch zu verschmelzen und die Furcht, sich darin zu verlieren, das Gerangel um Macht, das Ungleichgewicht in der Begegnung und das Streben nach einem idealen Bild von sich und seinem Gegenüber.
Das narzisstische Thema finden wir nicht nur in Zweierbeziehungen, sondern in jedweder Form von Aufeinanderbezogensein, sei es im Beruf, zwischen Freunden, in der Familie, in der Nachbarschaft oder in der Psychotherapie. Überall, wo Menschen zusammenkommen, kann es geschehen, dass sie ihre narzisstischen Anteile ausagieren und sich dadurch in Konflikte verstricken. In Zweierbeziehungen ist die Dynamik aufgrund der Nähe jedoch besonders stark.
Ich werde in diesem Buch Beziehungen unter den charakteristischen Aspekten des narzisstischen Themas beschreiben und erklären:
Was passiert, wenn zwei Menschen mit einem verletzten Selbst aufeinander treffen?
Welche Gefühle und Verhaltensweisen lassen die narzisstische Beziehung gelingen oder scheitern?
Kann man mit einem narzisstischen Menschen leben, ohne zu sehr zu leiden?
Wie lernt man mit dem eigenen verletzten Selbst umzugehen?
Was sollte man in der Begegnung mit einem narzisstischen Menschen bedenken?
Wie gewinnt man die Verantwortung für sich selbst wieder?
Welche persönliche Problematik steht hinter den Beziehungsschwierigkeiten?
Warum wurde genau dieser Partner/ diese Partnerin gewählt?
Ich lasse viele Betroffene zu Wort kommen und möchte dadurch zum Verständnis narzisstischer Beziehungen sowie der Menschen, die sie eingehen, beitragen.“