Schweigen tut not
Betrachtet man (…) den jetzigen Zustand der Welt und das ganze Leben, so müßte man sagen: es ist eine Krankheit.
Wenn ich Arzt wäre und mich einer fragte: „Was meinst du, muß getan werden?“, so würde ich antworten: „Das erste, was getan werden muß, und die unbedingte Voraussetzung dazu, daß überhaupt etwas getan werden kann, ist —; schaffe Schweigen! Gebiete Schweigen! Wesentliches* kann ja nicht gehört werden, und wenn es mit Hilfe lärmender Mittel geräuschvoll hinausgerufen wird, damit man es auch im Getöse hören kann, so bleibt es nicht das Wesentliche. Schaffe Schweigen!!
Ach, alles lärmt, und wie heißes Getränk das Blut bekanntlich in Wallung bringt, so ist in unserer Zeit jedes einzelne, selbst das unbedeutendste Unternehmen und jedes einzelne, selbst die nichtssagendste Mitteilung bloß darauf berechnet, die Sinne zu reizen oder die Masse, die Menge, das Publikum und den Lärm zu erregen!
Der Mensch, dieser gewitzte Kopf, sinnt fast Tag und Nacht darüber nach, wie er zur Verstärkung des Lärms immer neue Mittelerfinden und mit größtmöglicher Hast das Geräusch und das leere Gerede möglichst überallhin verbreiten kann.
Ja, was man auf solche Weise erreicht, ist wohl bald das Umgekehrte: die Mitteilung ist an Bedeutungsfülle wohl bald auf den niedrigsten Stand gebracht, und Gleichheit haben umgekehrt die Mittel der Mitteilung in Richtung auf eilige und alles überflutende Ausbreitung wohl auf das Höchstmaß erreicht;
denn was wird wohl hastiger in Umlauf gebracht als das Geschwätz?! Und anderseits —: was findet willigere Aufnahme als das Geschwätz?! — O, schaffet Schweigen!!“
Sören Kierkegard (1813 – 1855)
*Wesentliches / statt im Original „Gottes Wort“.
Literatur:
Kierkegaard, Sören: Die Leidenschaft des Religiösen. Stuttgart: Reclam 1975
Sonnenschmidt, Rosina Dr. & Knauss, Harald: Die zwölf Tore der Heilung. Das Spiel der Kräfte im Jahresverlauf. Berlin: Verlag Homöopathie + Symbol 2005
Tokarczuk, Olga: Unrast. Frankfurt a/M: Schöffling & Co 2009
Morrien, Birgitt: Was Nerds inspiriert. Essay zu disruptiven Tendenzen der digitalen Transformation. Köln: Coaching-Blogger >Management & Karriere 20.06.2017
Ostaseski, Frank: Die fünf Einladungen. Was wir vom Tod lernen können, um erfüllt zu leben. München: Kanuar 2017
Bildnachweis:
Foto: Birgitt Morrien / Motiv: Museum Insel Hombroich, Januar 2018