ALTER: In bewusster Endlichkeit DASEIN

Den Dingen Zeit geben. (Foto: Morrien. Motiv: The Kitchen V: Holding the Milk, 2009. Video, 12:42 min. Courtesy of Marina Abramovic Archives and LIMA Foundation, Amsterdam)

Birgitt E. Morrien

Hinübersetzen / Wie an der Straße von Messina

Ich höre Italienisch am Nebentisch. Dabei bin ich nicht in Italien. Wohl aber sitze ich vor einer italienischen Eisdiele gegenüber einem Seniorenheim in einem Vorort von Köln. Auf dem Weg zu einem Termin nehme ich mir die Zeit für einen Cappuccino. Die Terrasse liegt direkt an der Straße, denkbar ungemütlich würde man denken. Aber nein, hier ist es sehr lebendig, gerade durch die Präsenz der Alten von gegenüber. Dabei mimt der Straßenverkehr als Kulisse zumindest akustisch gekonnt das Rauschen des Meeres.

Sowieso, besser als tot sein, schießt es mir durch den Kopf. Denn in den letzten Tagen gab es gleich zwei Beerdigungen, zu denen ich eingeladen war. Die Schwester einer Freundin und ein lieber Cousin, beide 60-jährig, waren zeitgleich verstorben. Beide aus bäuerlicher Tradition. Beide einer schweren Krankheit erlegen, mit der sie lange gerungen hatten. Tapfer. Oft darüber gestolpert waren in den letzten Jahren, doch ebenso oft wieder aufgestanden. Bis es irgendwann nicht mehr ging. Bis sie die endgültige Erschöpfung erfasst hatte. Und sie loslassen konnten und gehen durften.

Eine Zeit zu arbeiten und eine Zeit zu lieben

Beide waren „Arbeitstiere“. So heißen die Vielarbeitenden in Westfalen, die sich nicht schonen. Die Verstorbene war jung in die Medizin gewechselt, mein Cousin widmete sich zeitlebens der Viehzucht. Beiden gelang es, ihr Leben gut zu meistern, sich den vielen beruflichen und familiären Herausforderungen hingebungsvoll und mutig zu stellen.

Die Schwester der Freundin pflegte ihre Mutter bei voller Erwerbstätigkeit bis zu deren Tod zehn Jahre lang. Mein Cousin war gezwungen, schon mit 18 den elterlichen Hof zu übernehmen, nachdem sein Vater, schwer kriegstraumatisiert, sich das Leben genommen hatte. Beide Verstorbenen waren bestens vernetzt in ihren Familien und dörflichen Bezügen. Beide wurden ehrenvoll verabschiedet. Die Dorfkirchen vermochten kaum alle Trauergäste zu fassen.

Aber nicht nur deren schiere Menge versetzte mich in Staunen. Auch die Liebe, die ich in den Gesichtern vieler Frauen und Männer erkennen konnte, die die Verstorbene zu Grabe trugen. Ausdruck gelebter Verbindung. Und die Ehrerbietung durch Abordnungen der örtlichen Schützenvereine und der Feuerwehr, die den Verstorbenen auf dem letzten Weg begleiteten. Der heilige Ernst, mit dem sie dort Spalier standen, rührte mich.

Eine Zeit, loszulassen

Nach und nach lässt sich der kleine Dorffriedhof einkreisen von Trauergästen an diesem wunderbar sommerlichen Augusttag. Und wie dann die Glocken läuten, wird der Verstorbene in die Erde eingelassen. Inmitten aller findet er seinen letzten Ruheort. Ein Ort so still, dass die Bedingungen für die ewige Ruhe hier zumindest günstig sind. Hohe alte Bäume säumen die Grenzen des Friedhofs. Wächter bei Tag und bei Nacht, die bleiben, wenn wir längst weggegangen sind, um uns wieder unseren alltäglichen Geschäften zu widmen.

Aber wir gehen nicht so einfach. Wir sind zu Kaffee und Kuchen eingeladen. In großer Zahl versammeln sich die Trauergäste in der dörflichen Gaststätte. Eine, die noch Säle kennt, in denen große Hochzeiten und eben auch Trauerfeiern abgehalten werden können. Und es dauert nicht lang, da ist auch das Lachen wieder zu hören und es wird sich lebhaft ausgetauscht. Über die Verstorbenen und über das Leben überhaupt. „Denk dran“, hatte mein Cousin seiner Frau kurz vor seinem letzten Atemzug mitgegeben: „Das Leben geht weiter.“

Eine Zeit, das Leben zu feiern

Am dritten Tag in Reihe fahren meine Frau und ich weiter zum 60. Geburtstag ihrer Schwester ins Oldenburger Land. Ländlich geht es auch da zu. Wieder ein großer Saal mit weitläufigem Park. Wieder viele Gäste. Doch hier zeigt sich nun die Leichtigkeit eines erfüllten Daseins, das sich anstellt, noch so manches Jahr weiterzugehen. Die Mutter der Gefeierten ist auch da und gibt mit ihren vitalen 88 Jahren dafür ein Beispiel. Auf wundersame Art zeigt sie, wie die ihr eigene Resilienz es vermag, jedes Schicksal so anzunehmen, dass gutes Leben auch weiterhin möglich ist.

Gäste aus 28 Orten des In- und Auslandes sind angereist, um mit meiner Schwägerin zu feiern. Sogar aus Addis Abeba, wo ein jüngerer Verwandter seit einigen Jahren mit seiner Frau lebt und arbeitet. „Noch“, sagt er. „Sobald wie möglich kehren wir zurück nach Deutschland. Ich spüre Heimweh.“ Aber auch aus England ist eine alte Freundin mit ihrem Mann angereist, die schon vor 40 Jahren dorthin ausgewandert war. Und natürlich aus allen Teilen der Republik. Wie wir eben aus Köln.

An diesem Tag ist mir leicht ums Herz und der Gedanke an das nächste Jahr freut mich. Wenn ich dann selbst zum sechsten Mal runden darf, werde auch ich meine Lieben einladen. Und ich wüsste nicht, wofür ich mein Geld lieber ausgeben möchte als für diese Art, dem Himmel für mein bisheriges Leben zu danken. Ein Fest in Gemeinschaft zu feiern, das meine Familie, Freundinnen und Freunde, Nachbarn und ausgewählte Arbeitsbezüge in diesem Geist zusammenbringt.

 

 

 

 

Das Seminar für Babyboomer: Visionen für das Alter

Erfahrungsberichte zum Thema aus dem Coaching mit DreamGuidance bei Birgitt Morrien:

A) Erfolgreich durch Empfehlungsmarketing: Karriere ohne digitales Dogma
Es berichtet Margaret Rosenbaum (50), Ex-Managerin, selbstständige Kommunikationsexpertin

B) Coaching mit 72: Den eigenen Weg finden und gehen
Harriet von Bohr (86) berichtet im Rückblick über die Art und die Folgen einer geglückten Beratung

C) Auch ein Coach braucht mal einen Coach
Cornelia Stiehler (53) über den gelungenen Weg zur eigenen Coaching-Marke im Coaching

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Medienreferenzen aus 20 Jahren: Journalistinnen und Journalisten über das Coaching mit DreamGuidance

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