Widerstände dynamisch transformieren

Christo und Jeanne-Claude brauchten seinerzeit 25 Jahre, bis sie ihr Vorhaben realisieren konnten, den Reichstag zu verpacken. Wir leben in einer Zeit, die uns lehrt, dass für unsere Augen unsichtbare kleinste Wesen den politischen Willen in einer Weise beflügeln, Dinge zu tun, die allein zu denken noch vor einem Jahr unvorstellbar gewesen wären. Ein Ei am Dom aufzustellen ist möglich – als Sinnbild schöpferischer Stille.

Ein südafrikanischer Medienexperte, in Köln geboren und aufgewachsen, und Birgitt Morrien im kontroversen Austausch über das Ei-Kunstvorhaben.

 

MORTIMER

Mit Verlaub, die Ei-Idee hat eine extreme Fallhöhe – mein Feedback kann ich einfach zusammenfassen: So ein Kappes …

MORRIEN

Wie wunderbar, so lange mit dir kollegial befreundet zu sein und das, gerade weil wir so unterschiedlich ticken und mitunter sehr unterschiedliche Meinungen vertreten. Ich finde, das spricht für uns, zumal in einer Zeit, die so sehr auf Spaltung ausgerichtet ist.

Es war mir einfach ein Anliegen, dir von der Ei-Idee zu berichten. Da hattest du immerhin was zu lachen. ;-)

MORTIMER

Ich freue mich auch über so unterschiedliche Denk- und Sichtweisen, die uns nicht an Zuneigung und Freundschaft hindern. Nimm meinen „Kappes“ nicht persönlich: Mit Konzeptkunst habe ich grundsätzliche Probleme …

MORRIEN

Klar, Beuys und Christo mochten und mögen ja auch nicht alle. Für mich bedeutet diese Konzeptidee Psychohygiene erster Güte. Der ebenso kreative wie konstruktive Umgang mit Verletzung, persönlich und kollektiv. Die Ei-Vision tut mir selbst gut und gefällt laut Feedback offensichtlich vielen Menschen.

MORTIMER

Was für dich gut ist, ist für dich gut, also mach dein Ding, egal ob es jemandem gefällt oder nicht.

Wenn ich „Fallhöhe“ sage, meine ich genau, was du anführst: Beuys und Christo – geht’s für den Anfang deiner Künstlerinnen-Karriere nicht ein bisschen kleiner?

Die beiden gehören übrigens nicht in eine Kategorie: Christo und Jeanne-Claude haben mit ihren Verhüllungsprojekten sehr sinnliche Erfahrungen möglich gemacht – genau darum haben sie weltweit eine riesige Fan-Gemeinde, unter anderen mich.

Joseph Beuys’ Kunst kommt ohne wortreiche Erklärungen nicht aus – und darum auch nicht an. Da fehlt das Sinnliche, und damit meist auch das Ästhetische.

Dein Riesenei hat alle sinnlichen Vorzüge – die Erklärungen dazu (Mahnmal für gedemütigte Frauen, Ermahnung für die Katholen, Erinnerung an die Lebenskraft) sind ein fürchterliches Geschwurbel.

Könnte es sein, dass der Bezug auf die Traditionen der Morrien-Family vor allem durch das raffinierte Eigenmarketing deutlich wird? Den Artikel von Walter Volmer in deinem Blog hab ich aufmerksam noch mal gelesen …

MORRIEN

Wenn ich analytisch auch nur ansatzweise so scharfsinnig vorausgedacht hätte wie du, wär vermutlich gar nix dabei rausgekommen.

Deine Rückmeldungen sind sehr dezidiert und differenziert. Danke dafür, dich mit meinem Vorhaben so ausführlich befasst zu haben. Dein Widerspruch regt mein Denken an, so auch deine Analyse, dein Dagegenhalten.

Was will ich mehr! Doch genau das: das Gespräch – und vor allem den Kritiker:innen eine Plattform für das Gefühl geben, sie wüssten es besser als ich. Ich höre meine Ironie darin natürlich selbst, verzeih.

Doch sind, apropos Geschwurbel, die wenigsten Künstler:innen zugleich die besten Deuter:innen des eigenen Werkes. Dafür brauchen sie die Resonanz und erkennen in deren Facettenreichtum womöglich allmählich selbst, worum es im Kern EIGENTLICH mit ihrer Kunst zu tun ist. Denn das erschließt sich auch mir noch nicht umfänglich.

Keine Kunst ohne Eingebungen. Diese bekommt man geschenkt und darf und muss dann gucken, wie man damit klarkommt. Die Idee hat mich seit der „Empfängnis“ am 13. November 2020 ordentlich gefordert und geschüttelt. Ich habe mein Bestes gegeben, um gesund niederzukommen und das Kind so getauft, wie ich in der Kürze der Zeit einen Namen … oder besser derer gleich mehrere finden konnte.

Da gab es sofort Myriaden an Seelen, die berücksichtigt zu werden wünschten: ein Meer verletzter Mädchen und Frauen, ein Heer von unglücklichen und verunsicherten Gläubigen und schließlich noch das ewige Leben selbst. Und alle ließen sie sich hoch und heilig von mir versprechen, dass sie ihren Platz in dem Ei bekommen würden, weil ihnen allen der Sinn danach steht, neu geboren zu werden.

Was sollte ich da machen, als sehenden Auges Unüberlegtes zu tun? Tatsächlich habe ich ihnen allen spontan ihren Platz im Ei versprochen. Das war zu kurz gedacht, ich weiß, und da war mir dann auch klar, warum das Ei solche Ausmaße haben muss. Es muss ja allen Platz bieten, stell dir bloß das Gedränge vor!

Unterstützer:innen an Bord

Sobald die Eingebung von mir als Kunstvorhaben anerkannt war, stand wenige Tage später mein Projektteam. Es war mir vollkommen klar, allein damit schon im Ansatz völlig überfordert zu sein. Hinter mir standen und stehen erfahrene Profis, die mich beim ersten Schritt der Umsetzung bis hierher tatkräftig unterstützt haben: Beratung, Text, Lektorat, Webprogrammierung und Webdesign.

Den Texter habe ich gebrieft und ihm dann völlig freie Hand gelassen. Ich habe schließlich übernommen, was er mir geliefert hat, nur leicht redaktionell überarbeitet durch einen Münchener Pressepartner. Dieser hat die Meldung via OTS (privatwirtschaftlicher News-Verbreitungsdienst) rausgeschickt, von wo die dpa (unabhängige Nachrichtenagentur) diesen aufgegriffen hat.

Die Wucht, mit der die Meldung einschlug, so was habe er noch nie erlebt, meinte mein Pressepartner. Da nehmen Leute Tausende Euro jeden Monat in die Hand und landen keinen solchen Coup. Ich denke, die Zeit ist einfach reif für einen solchen Lichtblick als Zukunftsversprechen!

MORTIMER

Freu dich über die üppige Medienresonanz! Ich sehe die legendär muffige Kölner Stadtbürokratie, die „Herren im Kleid“ im Domkapitel, die Hoteliers und Geschäftsinhaber – und nicht zuletzt die Feuilletonist:innen, Kulturverwalter, Künstler:innen und alle sonstigen Bedenkenträger:innen vor mir.

Und das ist keine Vision, sondern viel zu oft erlebte Realität. Von der Idee bis zur Verwirklichung des „Wrapped Reichstag“ vergingen fast 25 Jahre – und Christo war schon wer, als er die Idee vortrug.

Was kann ich tun, als dir eine robuste Gesundheit zu wünschen, damit du das Ei noch real sehen kannst.

MORRIEN

Danke für die Glückwünsche zur gelungenen Medienarbeit! Der Respekt des erfahrenen Medienfachmannes freut mich natürlich sehr. Doch erscheint mir dieses Gelingen tatsächlich eingedenk aller strategischen Überlegungen, die dem Erfolg fraglos vorausgegangen sind, dennoch als Geschenk. Das will ich hier gern weiter ausführen und verabschiede dich, Mortimer, an dieser Stelle mit herzlichem Dank für deine kritischen Einwände, die mir die Gelegenheit geben, zum Kern zu kommen.

Auch jede Eingebung ist ein Geschenk, zumal wenn damit ein so aufregendes, weil spekulatives künstlerisches Unterfangen verbunden ist. Darüber hinaus aber empfinde ich dieses Geschenk in gewisser Weise auch als Zumutung: eine Zumutung als Geschenk verpackt.

Aber wer dürfte da Nein sagen, zumal wenn es wie im Traum daherkommt, so leicht, ganz arglos, ein Ei eben, sonst weiter nichts.

Eines jedoch, das gesehen werden will und muss und drum so riesig ist. Und ich als Dienstleistende seit 25 Jahren nehme diesen besonderen Auftrag natürlich an, wohl wissend, dass es viele Helfer:innen brauchen wird, um dieser Aufgabe gewachsen zu sein.

Über die dienende Haltung hinaus habe ich aber auch die Verve einiger Vorfahr:innen ererbt, einen kühnen Geist, der sich was traut und nicht zurückschreckt, wenn man ihm Ungewöhnliches anträgt.

Dass das passiert ist, dass diese Idee ausgerechnet mir gekommen ist, liegt nicht in meiner Verantwortung. Mir Anmaßung zu unterstellen ist nicht angebracht. Ich kenne selbst genügend großartige Künstler:innen, auf die meine Wahl gefallen wäre, hätte ich den Auftrag zu vergeben gehabt.

Die Kunst hingebungsvoller Einfalt

Zwar bin ich neben meiner beratenden und schreibenden Tätigkeit seit jeher auch künstlerisch tätig gewesen, etwa als Poetin, Essayistin und Gesangskundige in Sachen Jazz und Improvisation, ohne mich jedoch explizit als Künstlerin verstanden zu haben.

Wenn Künstlerin, dann spiele ich fraglos nicht in einer Liga, die es nahelegen würde, eine solche Idee aufzugreifen. Andererseits ist biblisch überliefert, dass Eingebungen mitunter durchaus eine gewisse Einfalt voraussetzen. Und für das Ei, so viel steht fest, brauchte es vor allem dies:

Die Fähigkeit zu kindlichem Staunen und die Bereitschaft, im scheinbar Schlichten das Außerordentliche zu erkennen und anzuerkennen. Auch die Gabe brauchte es, alles geistig nur Vorstellbare nachgerade für möglich zu halten, wenn die Zeit dafür gekommen ist.

Ob ich das Ei jemals selbst am Dom sehen werde, mit meinen Wachaugen, wer weiß das schon. Aber die Zeiten sind danach, dass sich das gerade noch als unmöglich Erachtete plötzlich als durchaus realisierbar erweist.

Wer hätte im letzten Jahr gedacht, dass wir 2020 die Klimaziele doch noch erreichen würden? Wer hätte gedacht, dass das 500 m Luftlinie von meinem Zuhause befindliche, europaweit größte Freudenhaus (Freude für wen?) nun insolvent ist? Ausgelöst durch global aktive, für unser bloßes Auge unsichtbare kleine Wesen.

Ich schließe nicht aus, dass das Ei schon im nächsten Jahr da steht. Oder im Jahr darauf. Oder eben auch nicht da steht. Es hängt vom Wind ab, von wo dieser kommt, in welche Richtung er weht und wen er mitnimmt.

Und sicher ist, dass ich darauf kaum Einfluss habe. Der Impuls kann noch so stark sein, ist der Acker nicht gepflügt, passiert nichts. Doch strenge ich mich weiter an und überlasse mich den Aufgaben, die mir übertragen wurden, einfach auch, weil ich nicht anders kann.

Die Realität der Visionen

Und schließlich, wer sollte sich glaubhaft von mir zu kleinen wie großen Visionen inspirieren lassen, hätte ich selbst nicht den Mumm, für beides gleichermaßen offen zu sein und es anzunehmen.

Dass ich – visionär hin oder her – keine Heilige bin, steht dabei völlig außer Frage, auch wenn meine Religiosität tief gründet. Katholikin bin ich ja auch schon lange nicht mehr. Wenngleich ich als Priesterin sicher noch Mitglied wäre, hätte man mir seinerzeit den Zugang gestattet, denn das war, wovon ich schon als Kind träumte.

Dass ich mit dem Ei nun vor der Kathedrale lande, hat insofern eine gewisse Stringenz. Als bodenständige Kauffrau, die ich als Selbstständige ja auch bin und sein muss, gerate ich jedoch nicht so schnell in den Verdacht, abgehoben zu sein. Und als Nachfahrin des ältesten westfälischen Uradels helfen mir die Ahnen, dem Dom mein großes Ei womöglich erfolgreich zu stiften.

Hat doch der Dreikönigsschrein bereits vor mehr als dreihundert Jahren einen diamantbesetzten goldenen Stern von meinem Vorfahren Ferdinand geschenkt bekommen. Auch damals hat man den Zugewinn, der damit verbunden war, gern angenommen. Die Pilger:innen liebten den Stern, und das war gut fürs klerikale Geschäft. Bis man den Schrein vor Napoleon in Arnsberg versteckt hat und der Stern abhandenkam.

Die Wirklichkeit des Virtuellen

In der Welt ist das Ei schon jetzt. Auch kann die virtuelle Präsenz zeitnah so gestaltet werden, dass weitreichendes Interesse zu initiieren möglich ist. Immerhin leben wir in Zeiten, die die Bedeutung des Virtuellen mit etwas Verspätung als eigene Realität allmählich zu begreifen beginnt. Schließlich wird auch das künftig analoge Ei für die meisten Erdenbürger:innen später „nur“ virtuell real sein — in dieser Weise jedoch vollkommen REAL.

Das über den gesamten deutschsprachigen Raum bereits im Anlauf erzeugte Presse-Echo vermittelt eine kleine Ahnung davon, was geschieht, wenn es dann tatsächlich aufgestellt wird. Ein Tourismusfaktor erster Güte, dessen Erlöse i. S. der künftigen Stiftungssatzung gewährleistet werden müssen.

Wie auch immer, schon jetzt können alle das Ei wie wirklich sehen – auf dem Foto. Da ist es doch. Und ja, immer wieder werde ich gefragt, ob es nicht schon da steht. Es ist so einleuchtend, dass es da steht. Denn es steht für das, wofür es steht, und das ist einfach zwingend. Koste es, was es wolle.

Erinnerung aus der Zukunft

Ich habe mich lange genug mit dem Phänomen der Präkognition befasst, um zu wissen, dass es das gibt. Und um zu wissen, dass es uns bisher unerklärlich ist. Aber wenn jemand die Kapazität hat, daran zu glauben, dann die katholische Kirche, die dafür gesorgt hat, dass Vorausahnungen verschiedenster Art sogar historisch verbrieft sind, sogenannte Prophezeiungen.

Ich kenne solche Überlieferungen eher aus dem Profanen: Abraham Lincoln, der träumt, er wird ermordet, und glaubt es leider nicht. Er hätte sonst auf die Warnung gehört und so den Anschlag überlebt, der ihn das Leben kostete. Oder Meret Oppenheim, die etliche Jahre vor der Errichtung der Konzentrationslager Skizzen von Menschenschlachthäusern anfertigt, für sie selbst der größte Schrecken. Dystopische Visionen, fraglos, aber eben doch verbrieft.

Wir können Dinge wissen, bevor diese für uns wahrnehmbar eintreten, weil diese sich ankündigen. Es ist, als ob die Qualität einer Zeit diese Information als Essenz bereits in sich birgt. Mitunter können sensitive Gemüter aus der Summe allen Wissens kraft ihrer Intuition Möglichkeiten hochrechnen, die gesprochen für unser lineares Zeiterleben in der Zukunft liegen.

#DreamGuidance erkennt diese Komplexität an und nutzt diese Möglichkeiten via einfacher Techniken, ohne jedoch vorzugeben, diese zu verstehen. Das ist angewandte Einfalt, die sich dem Numinosen öffnet – und manchmal sieht, was wirklich ist, wirklich wesentlich.

Standpunkte zum Standort

Zunächst freuen wir uns sehr über das außerordentliche Medieninteresse an dem Kunstvorhaben. Dass der kritische Geist hier auch auf die baulichen Besonderheiten der Kölner Domplatte verweisen muss, liegt in der Natur der Sache. Hier wird es nicht stehen können, auch wenn die Fotomontage es dort zeigt.

Doch könnte das Ei auf dem Roncalliplatz stehen und wäre dort übrigens direkt zu sehen von dem bald fertiggestellten neuen Dom-Hotel. Kunstkenner:innen im Umfeld merkten an, es stünde dort sogar ungleich besser.

Eine andere Option ist der Bahnhofsvorplatz, sodass der Hinweis auf bauliche Gründe, die das Ei vereiteln könnten, obsolet ist. Dass die Vorbereitungen zur Realisierung eines solchen Monumentes dennoch nur als Prozess zu denken sind, versteht sich von selbst.

Nun, lieber Mortimer, so haben mir deine kritischen Einwände doch Gelegenheit gegeben, das Ei-Projekt mal von allen Seiten zu beleuchten. Und wieder stelle ich dabei fest, wie überzeugt ich von dieser Vision bin. Hab herzlichen Dank!

In freundschaftlicher Verbundenheit

Birgitt

 

Mehr Informationen zum Kunstvorhaben: eiei.art

 

 

 

Sinnstiftende Karrieren

Schreibe einen Kommentar