Die 37-jährige Dramaturgin Elisabeth Singer sucht in einer Orientierungsphase nach einer zukunftsweisenden Vision und entdeckt durch das Coaching mit DreamGuidance bei Birgitt Morrien neue Wege, um ihr künstlerisches Potenzial auszuschöpfen.
1.
Von den Brettern, die die Welt bedeuten,
zurückgeworfen auf die Bühne des Lebens
„Im Moment sitze ich in der Wartehalle eines Bahnhofs und studiere die Fahrpläne, um mich für einen Zug zu entscheiden.“ Mit dieser prägnanten Metapher bringt Elisabeth Singer auf den Punkt, was sie zu mir in die Beratungspraxis treibt: ihr aktueller Orientierungsbedarf und die Absicht, durch professionelle Beratung leichter den Weg zu einer beruflichen Entscheidung zu finden.
Die 37-jährige gebürtige Österreicherin hat bis vor vier Monaten als Dramaturgin am Wiesbadener Staatstheater gearbeitet. Bedingt durch öffentliche Mittelkürzungen war ihre Stelle gestrichen worden und sie wurde erwerbslos. Neben dem Bedauern über diesen Verlust spürt sie auch eine Erleichterung: „Wiesbaden hat mich kreativ unterfordert, was auf Dauer eine destruktive Erfahrung war. Ich habe dort das Gefühl für meine Fähigkeiten verloren. Es fehlte zuerst die äußere und dann die innere Bestätigung.“
Der promovierten Linguistin ist unklar, ob sie überhaupt an ihren bisherigen Weg anknüpfen soll oder eine neue Richtung einschlagen. „Ich habe das Theater in die Waagschale gelegt, denn ich bin auch bereit, mich ganz davon zu verabschieden.“ Die zunehmend beschränkten Mittel der öffentlichen Bühnen, die bisher ihr Zuhause waren, verändern das Berufsbild der Dramaturgin verstärkt Richtung Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, was sie nicht als ihren Schwerpunkt sieht. „Arbeit ist für mich eine Lebensform“, erklärt Singer. „Ich bin nur dann richtig motiviert und gut, wenn ich mich mit meiner Arbeit identifizieren und darin Verantwortung übernehmen kann. Etwas anderes kann ich mir auf Dauer nicht vorstellen.“
Konkrete Anhaltspunkte für andere Richtungen gibt es jedoch für sie augenblicklich nicht. „Mir fehlt die Vision!“, sagt Singer. „Erst wenn ich meine berufliche Verortung wieder gefunden habe, kann ich wirklich neu starten.“ Sie hofft zudem, sich dann auch wieder auf eine dauerhafte Partnerschaft einlassen zu können. „Ohne zu wissen, wohin es mich beruflich verschlägt, mag ich mich jetzt hier nicht tiefer binden.“
2.
Zeit zu zögern / zielbewusst
Reflexionen zu Relikten, Rollen & Ressourcen
In einer ausführlichen Bestandsaufnahme leite ich Elisabeth Singer an, anhand einiger von mir entwickelter Übungen, systematisch die Hinter- und Beweggründe ihrer aktuellen Situation zu durchleuchten: ihre berufliche Entwicklung („Berufsfeld-Analyse“), ihre bisherigen Rollenerfahrungen („Rollenspektrum-Analyse“) und identitätsbestimmende Faktoren („Map of Balance“, kurz MoB).
Die Berufsfeld-Analyse weist ihren familiären Hintergrund als extrem leistungsorientiert auf. In Singers Kindheit sind beide Eltern berufstätig als protestantische Lehrkräfte im gehobenen Schuldienst. Frühe Scheidung der Eltern. Ein anschließend abwesender Vater. Eine zeitweilig suizidale Mutter. „Ich musste zu früh erwachsen sein und Verantwortung übernehmen“, meint Singer. Verstärkt hat sich diese Entwicklung zudem nach dem Tod des einzigen Bruders, der dreizehnjährig als Sozius bei einem Motorradunfall ums Leben kam. „Das Gefühl der Verlassenheit war nach seinem Tod kaum auszuhalten. Ich habe die innere Verbindung zu ihm einfach aufrechterhalten und seither ein deutliches Gefühl von der Existenz anderer Wirklichkeiten“, sagt Singer.
Ihre Bereitschaft, sich auch von eher ungewöhnlicher Seite Rat zu holen, rührt wohl auch daher. Eine medial begabte Frau, die sie aufgesucht hatte, kündigte ihr den Ruf nach Wien an. Noch im Laufe des Jahres werde sie in Theaterangelegenheiten dorthin berufen.
Singer führt diese Weissagung skeptisch an, jedoch nur, weil sie aktuell keinerlei Möglichkeit sieht, ihren frühesten Wunsch wahr zu machen, ans Burgtheater nach Wien zu gehen. Zwar habe sie ein Jahr zuvor einem engen Mitarbeiter des dortigen Intendanten auf einem Kongress nach einem anregenden Gespräch ein persönliches Schreiben mitgeben können, in dem ihr Interesse an einer Mitarbeit dokumentiert sei. Realistisch räumt sie diesem Versuch jedoch keine Chance ein, da zurzeit Stellenstreichungen eher auf der Tagesordnung stehen als neu zu besetzende Vakanzen. Ungeachtet dieser Einschätzung vereinbaren wir, dass sie in Wien nachfassen wird.
Eine prägende Figur für Singers Theaterleidenschaft ist im familiären Hintergrund eine Wahl-Großtante, zeitlebens mit der Großmutter befreundet. „Tante“ Rose hat bereits in den 1930er -Jahren Musik studiert und seit jeher für die Kultur gelebt. Alles im Haus dieser alten Frau sei durchdrungen von einer Aura tiefer Vergeistigung, schwärmt Singer. Wie Leben und Arbeit im guten Sinne eins sein können, hat sie von ihr vorgelebt bekommen, die allerdings vermögend ist und nie von ihrer künstlerischen Arbeit leben musste. Dennoch hob sich diese vitale Frau in ihrer unbedingten Lebensbejahung für Singer als Modell wohltuend von der emotional-geistigen Labilität der Mutter ab. Der Kontakt zu der inzwischen fast hundertjährigen Frau ist bis heute lebendig geblieben und wirkt stärkend.
In der Rollenspektrum-Analyse lasse ich Singer ihre verschiedenen Rollenerfahrungen reflektieren und auswerten. Die Rolle der Dramaturgin rangiert ganz oben auf der Liste der „Top-Rollen“, gefolgt etwa von Kollegin, Motivierende, Studentin und Freundin. Die deutlich favorisierte Theaterrolle war auch die erste berufliche Rolle überhaupt, die sie als Kind gespielt hat. Als Motivierende gelingt es ihr, sowohl beruflich wie privat zu begeistern.
Als Studentin war es ihr möglich, viele Dinge zu probieren, ohne sich bereits auf eine Rolle festlegen zu müssen. Diesen Spielraum hat sie sehr genossen, da er es ihr erlaubte, sich umfassend in ihrer Kreativität auszuleben.
Als Freundin ist sie geschätzt und verfügt über ein lebendiges, tragfähiges soziales Netz. „Ich bin immer wieder dankbar, dass ich enge Freunde habe, die mir hoffentlich ein Leben lang erhalten bleiben“, sagt sie. „Mit wem soll ich denn sonst mit 89 Jahren zahnlos auf der Parkbank sitzen und kichernd auf mein turbulentes Leben zurückblicken?!“
Mit der Map of Balance (MoB) ermögliche ich Singer, ihr Identitäts-Konzept unter verschiedenen Aspekten zu reflektieren . Körper und Gesundheit stehen an erster Stelle, da Wohlbefinden auf dieser Ebene gelingende berufliche Entwicklungen begünstigt, wenn nicht sogar bedingt. Singer merkt an, dass sie in Stressituationen mit ihrem Körper Raubbau betreibe. Wir entwickeln gemeinsam Strategien, die hier künftig verstärkt für Ausgewogenheit sorgen können. Vereinbart wird, auch in Belastungsphasen feste Zeiten einzuplanen etwa für körperliche Bewegung und zum Kochen, da Singer beides als sehr entspannend erlebt.
Unter dem Aspekt materielle Sicherheit, als nächstem Identitäts-Aspekt, zeigt sich ihre Fähigkeit, für eine Weile auch mit begrenzten Mitteln aus ihren Rücklagen ihr Auskommen zu meistern. Eine dauerhafte Perspektive als Freiberuflerin sieht sie für sich nicht, da sie das fehlende Auffangsystem als bedrohlich empfindet. Um kreativ sein zu können, braucht sie absehbar eine berechenbare finanzielle Situation durch verlässliche Einkünfte.
Im Bereich Arbeit und Leistung, einem weiteren Identitäts-Aspekt, betont Singer die Identifikation mit einer Aufgabe als Bedingung für zufriedenstellendes und erfolgreiches Engagement. Auch die dringende Notwendigkeit einer Vision sieht sie, um ihrem Leben einen Sinn und eine Richtung zu geben. Sie empfindet es als sehr belastend, zurzeit keine klare Perspektive zu haben, da es in ihr ein tiefes Gefühl der Verlorenheit wachrufe. „Es ist schwierig genug, ohne Engagement und dadurch nirgendwo eingebunden zu sein“, sagt sie. „Unerträglich ist es jedoch, nicht zu wissen, wohin ich eigentlich gehen möchte.“
Singers persönliche Normen und Werte tragen dazu bei, dass sie ihre derzeitige Veränderungskrise vergleichsweise gut bewältigen kann: „Ich glaube fest an höhere Gesetzmäßigkeiten und daran, dass die Inhalte meines Bewusstseins mein Schicksal formen. Gedanken sind Energie und schaffen Wirklichkeit. Meine Zukunft erschaffe ich zuerst in meiner Vorstellung.“ Singer sieht es daher als ihre Verantwortung an, zunächst auf der Vorstellungsebene an ihrer Zukunft vorbereitend wirksam zu werden.
Durch regelmäßige mentale Übungen stärkt sie ihr Selbstvertrauen und öffnet sich für neue äußere und innere Impulse, die wegweisend wirken können. Als besondere Gefahr begreift sie in dieser fragilen Phase, sich mit anderen zu vergleichen und sich zu stark äußeren Reizen auszusetzen, die sie von sich selbst ablenken und ihre Konzentration so zerstreuen können. Daher vereinbaren wir ein bestimmtes Maß an Zeit, das sie täglich für ihre Selbst-Besinnung reserviert, um innere Neuordnung in Stille zu ermöglichen.
3.
Visionsfindung oder: Die Stunde zu spinnen
Hundeknochen, Heldin und Hurra
Moderne Formen der Verbindung nutzen die Spinnenmetapher. Da ist die Rede vom virtuell gewobenen World Wide Web, einem globalen Netzwerk. Das radikal Neue am Web ist die unendliche Vielfalt möglicher Verbindungen, die es schaffen kann. Und Neues ist immer das Ergebnis bisher unbekannter Verbindungen.
Nicht um virtuelle, wohl aber um neuronale neue Vernetzungen geht es der von mir so genannten Spinnensyntax, einem einfachen Schritt-Muster*, das die Voraussetzung zur Entwicklung neuer geistiger Auffangnetze schafft. Diese greifen richtungsweisende Impulse auf, einem mentalen Radar gleich.
Der neue Impuls, die richtungsweisende Vision wird auf dem Weg durch den Zyklus der Spinnensyntax per „P/Review-Technik“ generiert, einer Art mentaler Zeitreise, die der Einstimmung bedarf und für die sich in der Arbeit mit Elisabeth Singer ein Traum anbot.
Ein Hund habe sie beißen wollen, berichtet Singer ein geistiges Erlebnis aus dem Schlaf der vergangenen Nacht. Erschrocken sei sie davon aufgewacht.
Ob sie ihn denn nicht gefragt habe, warum er sie so angehe und was er eigentlich von ihr wolle, frage ich.
„Einen Knochen, was sonst!“, erwidert sie spontan und legt mir damit meine nächste Frage in den Mund:
„Was ist Ihnen, was dem Hund sein Knochen ist?“
„Na ja“, sagt sie. „Zum Beispiel ruhig durch- und ausschlafen. Oder mal wieder ‚Hanni und Nanni‘ lesen oder einen Tag mit Freunden verbringen und dann gemeinsam kochen.“
„Und haben Sie Ihren Hund damit kürzlich genügend gefüttert?“, frage ich.
„Wer sagt denn, dass das mein Hund ist?“, entgegnet sie.
„Niemand“, sage ich und behaupte, das sei auch unerheblich. „Was zählt, ist die Wirkung! Nehmen wir mal an, Ihr Hund sei dabei zu verhungern. Nehmen wir mal an, ‚Hanni und Nanni‘ könnten ihn sattmachen. Nehmen wir mal an, Sie würden ihn mit einer üppigen Nachmittagsschmökerei füttern. Nehmen wir mal an, er käme Sie beim nächsten Mal besuchen, ganz schmusig, schön satt. Nehmen wir mal an, Sie könnten dank dieser Fütterung nun ruhig durchschlafen. Nur mal angenommen.“
Nach diesem Einstieg in die Dimension des Imaginären bereiten wir uns auf die konkrete Arbeit mit der P/Review-Technik vor. Dabei führe ich Singer auf einer mentalen Zeitreise zunächst in ein zuvor vereinbartes spätes Lebensjahr, von wo aus sie sich an wichtige Stationen ihres Lebens erinnern wird. Kriterien der Erinnerung sind Erfüllung und Erfolg; es geht um Erfahrungen des Gelingens; um Dinge, die Singer gerne und darum gut machen konnte.
Wie immer vor dem konkreten Einstieg in die Arbeit erwähne ich drei gute Gründe, das ABC der P/Review-Technik, wonach diese – dem Ursprung nach schamanische – Technik ihre Legitimation im Rahmen des Coachings erfährt:
A — Augen auf mit Augenbinde!
Die P/Review-Technik nutzt einen bewusstseinserweiterten Zustand, der sich einstellt, wenn das kontrollierende Wachbewusstsein durch die angeleitete mentale Zeitreise in den Hintergrund tritt. Neurophysiologisch ist das Gehirn in diesem, von uns eher als Dämmer empfundenen Zustand um das Vierfache stärker aktiv als im tagwachen Zustand. Tatsächlich wird in der klassisch kognitiven Beratungsarbeit nur 1/10 des Gehirns aktiviert, d. h., 90 % der Kapazitäten liegen brach. Wenn aber nun maßgebliche Fragen anstehen, die kognitiv zu klären sich als schwierig oder gar unmöglich erweisen, scheint es sinnvoll, per P/Review-Technik den methodischen Zugriff auf diese riesige ungenutzte Ressource zu wagen.
(Quelle: Schulz, M. L., Intuition – die andere Art des Wissens, Goldmann, München 2000, S. 64)
B — Besser zeitreisen!
Dieses Wagnis als mentale Zeitreise anzugehen ist ein moderner Ansatz, der sich vom linearen Zeitmodell mechanischer Physik verabschiedet zugunsten aktueller Konzepte, die die Relativität von Zeit favorisieren. Denn Zeit ist nach dem Physiker Heisenberg eine relative Konstruktion. Quantenwellen bewegen sich in der Zeit vor und zurück, behauptete er schon vor mehr als 50 Jahren. Diese Theorie ist inzwischen auch in praktischen Versuchen als zutreffend verifiziert worden. Unbekümmert lassen wir unser Bewusstsein also per Preview/Review-Technik durch Raum und Zeit reisen, ohne uns um wache Denkverbote zu scheren.
C — Cyklopische Horizonte!
„Kennen heißt wieder erkennen“, meinte Johann Wolfgang von Goethe, womit er Erkenntnisse der modernen Neurobiologie vorweggenommen hat. Unsere Wahrnehmung ist zu 80 % dominiert von dem, was wir schon im Kopf haben, gegenüber 20 % neuen Informationen. Je mehr wir unsere Vorstellung etwa von unserer Zukunft erweitern, je eher kann es gelingen, Chancen zu erkennen und zu nutzen, die uns dahin führen. In diesem Sinn erschaffen wir also durch die P/Review-Technik unsere Vorstellung von Zukunft als komplexer Vision, um dann davon konkrete Ziele für die praktische Umsetzung abzuleiten.
Nach dieser kurzen Exkursion in die Sinnhaftigkeit der P/Review-Technik setzt sich Singer an einen Tisch, auf dem ein DIN-A2-Blatt liegt, außerdem bunte Wachsmalstifte, um die Erlebnisse ihrer Mentalreise anschließend auf einer Zeitachse kreativ dokumentieren zu können. Sie setzt sich bequem hin und lässt sich von mir an das vereinbarte späte Lebensjahr führen, hält sich dort von mir angeleitet eine Weile auf und sieht sich um. Von dort aus geht es zurück an die Anfänge ihres Lebens entlang einzelner Stationen, wo sich exemplarisch Erfahrungen von Erfüllung und Erfolg finden lassen.
Nach etwa einer halben Stunde mentaler Zeitreise durch ihr langes Leben malt sie auf, was sie unterwegs gesehen und erlebt hat. Auf der Zeitachse stellt sich alles nach dem aktuellen 37. Lebensjahr nach unserer linearen Zeitvorstellung als Vision dar, im Sinne der Übung ist jedoch das ganze Erlebensspektrum Erinnerung.
Elisabeth Singer konnte sich leicht auf die Übung einlassen und wir konzentrieren uns in der Auswertung vor allem auf die bevorstehenden Jahrzehnte, insbesondere auf das kommende. In den unmittelbar bevorstehenden Jahren von 37 bis 50 findet sie sich in einer offenen, kreativen Atmosphäre, in der mehrere Personen an einem Projekt arbeiten. Die Räumlichkeiten beschreibt sie als freundlich, modern und hell. Die Dekade der Jahre von 50 bis 60 zeigt sie in einem lichtdurchfluteten Altbaubüro mit Holzboden. Singer sitzt allein an einem Schreibtisch und trägt für ein Projekt Verantwortung. Sie fühlt sich sicher in ihrer Rolle und mit ihrer Aufgabe. Der Kampf sei zu Ende, sagt sie. Sie fühlt sich befreit in einer Atmosphäre selbstbestimmten Arbeitens. Sie beschreibt die Eindrücke als freudvoll, ausgeglichen und zufrieden. Ganz am Ende sitzt sie in einem Haus am Meer und fühlt sich angekommen. Sie fühlt sich als Heldin ihres eigenen Lebens, hurra!
4.
Der Ruf / unverhofft planmäßig
Nur zwei Wochen nach der Visionsentwicklung lese ich eine Mail von Singer, in der sie mir mitteilt, sie habe viel erlebt. Sie sei in „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“ ** gewesen, und da sei ihr plötzlich klar gewesen, was Theater kann und dass sie auf jeden Fall in Sachen Theater weitermachen müsse, egal wie und wo.
Daraufhin habe sie nur zwei Tage später eine Einladung aus Graz bekommen, wohin sie nach unserem ersten Coaching einfach mal eher halbherzig eine Bewerbung geschickt habe. Sie habe schon schlaflose Nächte gehabt von dem inneren Hin und Her, ob sie da nun überhaupt hinwolle.
Da kommt die Nachricht aus Wien, wo sie nach der Visionsentwicklung angerufen hat und sich nach ihrem Brief erkundigte. Es werde jemand ausscheiden, sagt man ihr, und sie solle kommen, sich vorstellen. Ihr Profil passe, man könne sich aufgrund der vorliegenden Informationen gut vorstellen, mit ihr zusammenzuarbeiten. Ein persönliches Gespräch mit Herrn T. habe es ja auf dem Kongress im vergangenen Jahr auch schon gegeben. – Singer ist vollkommen irritiert und zugleich aufgeregt vor Freude.
In einer Coachingsitzung bereiten wir das Treffen in Wien vor, entwickeln Antworten auf mögliche kritische Fragen und spielen die Gesprächssituation systematisch durch. Außerdem formuliert Elisabeth Singer selbstsichernde Aussagen als mentale Anker, die sie in der Zeit bis zum und während des Gespräches nutzen kann, um in einer innerlich weitgehend unabhängigen Haltung zu bleiben. Graz, entscheidet sie, will sie sich als Option bis nach der Wiener Unterredung offenhalten.
Wiederum zwei Wochen später treffen wir uns im Coaching und sie hat die Stelle bekommen, zunächst als Zeitvertrag für ein halbes Jahr. Singer ist stolz, hat Sekt mitgebracht, und es ist mir eine Freude, mit ihr einmal anzustoßen auf diesen wunderbaren Erfolg. Das muss gefeiert werden! Genaueres Abwägen gegenüber dem Grazer unbefristeten Angebot ergibt, dass sie Wien trotz aller Unwägbarkeiten den Vorzug geben wird. Der Intendant am Burgtheater ist jemand, den sie bereits als Jugendliche verehrt hat, und sie sieht es gleichermaßen als Chance und als Ehre, nun mit ihm arbeiten zu dürfen.
Gleichzeitig ahnt sie, dass Auseinandersetzungen auf sie zukommen könnten, da dieser Mann das Theater gern als seinen Hofstaat führt. Sie könne sich seinen Argumenten in der Sache fügen, jedoch auf Dauer wohl kaum seinen autoritären Allüren. Dennoch überwiegen die Möglichkeiten, unter seiner Regie und mit dem dortigen Team mehr zu wachsen als in Graz. „Egal wie lange“, sagt sie. „Diese Chance kann ich mir einfach nicht entgehen lassen!“
Sie sagt Graz ab und zieht um nach Wien.
5.
Ein Jahr später
Nach dem Hofstaat der Aufbruch zum Amsterdamer Ensemble
Singers Zeit in Wien war begrenzt. „Ich habe wichtige Erfahrungen gemacht, die ich nicht missen möchte, und bin zugleich froh, es geschafft zu haben, mit Würde und gegenseitigem Respekt zu gehen“, schreibt sie mir in einer Mail. Tatsächlich ist es zu Auseinandersetzungen gekommen, die ihr gezeigt haben, dass sie sich entweder verbiegen muss oder verabschieden. Als das halbe Jahr herum war, war es Zeit, Wien den Rücken zu kehren. Und das zunächst ohne Anschlussvertrag! Wieder ist sie bereit, sich völlig vom Theater abzuwenden und nun endgültig etwas anderes zu tun.
In der Zeit „nach dem Hofstaat“ nutzt sie zunächst die Möglichkeit einer Fortbildung in einem theaternahen Medienfach. Während dieser Wochen trifft sie „zufällig“ an einer Raststätte auf den Chef des Amsterdamer Ensembles und kommt mit ihm ins Gespräch. Er bietet ihr eine Stelle als Dramaturgin an, die kurz zuvor freigeworden war. Sie zögert noch einen Monat, bewirbt sich dann und bekommt das Engagement.
„Jetzt arbeite ich schon seit vier Wochen in Amsterdam und habe ein gutes, sozial kompetentes, starkes Team, das mich ordentlich herausfordert. Der Vertrag geht über zwei Jahre mit der wohl legitimen Aussicht auf Verlängerung“, schreibt sie mir. Mit der internationalen Ausrichtung des Ensembles ist sie glücklich und sieht hier gute Chancen, sich persönlich und künstlerisch weiterzuentwickeln. Sie denke sogar daran zu bleiben, deutet sie an. Immerhin sei sie seit Jahren erstmalig wieder im Begriff, sich auf eine Partnerschaft einzulassen.
*Spinnensyntax. Siehe: Morrien, Birgitt: DreamGuidance. Coaching zur Entdeckung, Erforschung und Aktivierung intuitiver Intelligenz. Norderstedt: CUID Publications bei BoD (S.64)
** „Die Schmutzigen, die Hässlichen und die Gemeinen“
Weitere Veröffentlichungen von Birgitt Morrien