Zwar entstammt Birgitt Morrien dem westfälischen Uradel, der Westfalen über 500 Jahre beherrscht hat, doch ist sie selbst in vergleichsweise bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen. Hier berichtet sie über ihre Herkunft und ihren Werdegang als Autorin und Coach.
EIN LEBEN fast WIE ALLE / Kurzer Lebenslauf
Geboren wurde ich als drittes von vier Kindern auf dem Lande. Bis zu meinem fünften Lebensjahr lebte mein Vater noch; er bestritt unseren Lebensunterhalt als Kaufmann. Als er an den Spätfolgen des Krieges verstarb, übernahm meine Mutter die Lotterie aus seinem Geschäft, um sich ein eigenes Einkommen zu sichern. Eine Kriegswitwenrente blieb ihr trotz vielfältiger Bemühungenn versagt; auch andere Ansprüche konnte sie nicht geltend machen. Versicherungsleistungen gab es damals keine.
Mit zehn Jahren wechselte ich von der Grundschule aufs Gymnasium. So stolz wie damals werde ich kaum je wieder sein. Mit diesem Schritt, spürte ich deutlich, würde ich die Welt erobern und die Enge unserer Verhältnisse hinter mir lassen. Das ständige Bangen um finanzielle Sicherheit. Die Sorge, es könnte nicht reichen. Auch wenn wir dann doch immer genug hatten. Mehr noch: Meiner Mutter gelang es, binnen zehn Jahren ein neues, großes Haus für uns fünf zu bauen. Ihren Stolz darauf hat sie nie gezeigt. Eine Frau, die so etwas tut, fürchtet Strafe.
DIE REICHTÜMER MEINER GESCHICHTE
Meine Mutter hatte in ihrer Jugend das Handwerk einer Apothekenhelferin gelernt. Mangels finanzieller Mittel durfte sie nicht, wie ihre Brüder, nach der Hauptschule eine höhere Schule besuchen. Nun, als alleinerziehende Mutter von fünf Kindern, war aus ihr eine – im Rahmen ihrer zeitlichen Möglichkeiten – sehr erfolgreiche Geschäftsfrau geworden. Sie schätzte und genoss Ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit. Ein zweites Mal heiratete sie nicht: Sich einem Mann unterzuordnen, war ihr nicht mehr möglich. Zwar hätte sie sich niemals als Feministin bezeichnet, doch ihr Lebensentwurf war letztlich der einer freien Frau, in vielfacher Hinsicht selbstbestimmt.
Väterlicherseits stamme ich von einem alten Adelsgeschlecht ab. Meine Tante, die Schwester meines Vaters, flüsterte mir in meiner Kindheit die Geschichten ihrer Ahninnen und Ahnen ins Ohr: von all den verlorenen Schlössern und Wasserburgen, von jahrhundertelangen Machtkämpfen und -intrigen, von dramatischen Liebesgeschichten, die mitunter tödlich endeten. Ich war die Tochter eines Geschlechts, das Westfalen über fünf Jahrhunderte lang dominiert und tyrannisiert hatte. Geblieben ist von alledem – über die historischen Akten im Münsteraner Staatsarchiv hinaus – eine diffuse Mischung aus Stolz und Unbehagen.
AUS STROH GOLD SPINNEN
Ich beschloss früh, meinen geistigen Adel zu kultivieren – wohl auch, weil von dem anderen ja nicht viel übrig geblieben war außer den Geschichten. Er erschien mir als Ausweg, um gegen die Begrenzungen meines Standes anzukämpfen: Als Mädchen zählte ich nie so viel wie ein Junge; als Tochter eines Kaufmanns galt ich weniger als ein Akademikerkind.
Es gelang mir jedoch, eine erfolgreiche Selbstständigkeit aufzubauen – dank der Intelligenz, visionären Kraft, Willensstärke, Disziplin und dem Biss, die ich wohl von meiner Mutter geerbt hatte. Zu verdanken habe ich meinen Aufstieg aber auch einer sozialdemokratischen Bildungspolitik, die mir in den Achtzigern durch BaföG eine gute Bildung ermöglichte. Unterstützt von verschiedenen Stipendien, besuchte ich Universitäten im In- und Ausland. Dazu gehörte auch der Erwerb eines US-Masterdiploms.
Zwei weitere Wettbewerbsvorteile, die mir in die Wiege gelegt worden waren, sind meine deutsche Staatsangehörigkeit und meine weiße Hautfarbe. Privilegen, deren ich mir durchaus bewusst bin. Darüber hinaus habe ich auch immer den Segen und die Unterstützung einer bereits dreißig Jahre andauernden Lebensbeziehung erfahren, die mir eine fortwährende Quelle der Kraft und des Rückhaltes ist.
(ÜBER-)LEBEN IN DER FREMDE
Als Mädchen und Frau war ich anders als ein Junge und Mann, gehörte ich nicht jenem Geschlecht an, das seit Jahrtausenden die Welt regiert hat. Als Dorfkind, dessen Eltern noch Plattdeutsch sprachen, war mir zudem jene bildungsbürgerliche Welt fremd, die die Deutungshoheit allen Wissens beansprucht. Immer blieb ich die Außenseiterin. Aber ich wehrte mich gegen diese Begrenzungen. Ich wollte so viel wert sein wie meine älteren Brüder. Also band ich mir zwar die verordnete Schürze um, bestand aber auf Cowboyhut und Colt.
Ich wollte so viel wert sein wie die Tochter des Fabrikbesitzers und der Sohn des Schulrektors. Also scheute ich keine Mühe, ihre Gepflogenheiten und ihren Werteknanon zu studieren. Mehr als das intellektuelle Wissen galt es, ihre fremde Kultur zu studieren. Eine außerordentliche Anstrengung neben dem Studium fachlicher, schulischer und universitärer Inhalte. Quasi ein Dual-Studium.
Was ich durch meinen Aufstieg vor allem gelernt habe, ist, mich anzupassen an das, was mir als (Wissens-)Wert vorgegeben und vorgelebt wurde. Ich lernte, mich erfolgreich in fremden Welten zu bewegen. So verinnerlichte ich mehr und mehr, wer und was wirklich etwas galt in dieser Welt. Diese Anstregnung und Anpassung forderte natürlich seinen Preis, und der war hoch: Es galt, meine Seele zu verkaufen.
ALTES WISSEN IN SICH BERGEN
Als Kind aus einfachen Verhältnissen war ich seit jeher vertraut mit der Welt der Gefühle. Diese auszudrücken war erlaubt, ja sogar nötig, um mich durchzusetzen. Gegenüber meinen älteren Brüdern überzeugten nicht nur sachliche Argumente, da zählten auch Lautstärke und Körperkraft. Vertraut mit volksfrömmigen Traditionen öffneten mir darüber hinaus inniges Gebet und Flehen eine willkommene Tür zu einer tiefen Emotionalität. Sie verhalf zu einem sprachlosem Wissen, das ich zwar in mir fühlte, aber nicht in Worten auszudrücken vermochte. Wann immer ich mangels irdischer Alternativen die himmlischen Kräfte um Hilfe bat, konnte ich die vor mir liegende Prüfung gestärkt angehen und gut bestehen. Insofern wusste (!) ich doch, dass gute Gefühle (auch) für das Gelingen intellektueller Herausforderungen essentiell sein können.
Was die Geschlechterbenachteiligung angeht, war mir seit jeher bewusst, dass neues Leben nur dem weiblichen Körper entstammt. Das hatte ich schon früh bei der Geburt einer Kuh miterlebt. Spätestens aber, als meine kleine Schwester geboren wurde, begriff ich vollends, dass die Mutter Gottes wirklich am Anfang allen Lebens stand. Nicht nachvollziehbar war mir deshalb, weshalb sie in unserer Kirche im Seitenschiff ihr Randdasein fristete. Dass ich den sich aufgeklärt wähnenden Welterklärern schließlich auch noch die krause Idee des Penisneides abkaufen sollte, empfand ich schlicht als Zumutung an meinen gesunden Menschenverstand.
SICH ZU SICH SELBST BEKENNEN
In fremden Welten zu bestehen, die das eigene tiefe Wissen ignorieren, sanktionieren und exekutieren, gelingt nur unter vollem Einsatz aller Kräfte. Im Grunde erfordert es ein fortlaufendes Krisenmanagement. Immer wieder stellt sich die Frage: Wie viel (von mir) zu wissen, kann ich mir gestatten, ohne daran zu zerbrechen? Wie viel zu wissen erlaube ich mir, ohne daran zu ersticken, wenn ich mich darin vor der Welte verberge?
Wenn ich mich von meinen Träumen leiten ließ, zeigte mir die institutionalisierte Ratio dieser Welt den Vogel. Wenn ich getreten wurde und am Boden lag, beschimpfte mich der Mob als Opfer. Da ich jeder anderen Frau gleich wusste, wie Schöpfung funktioniert, nannten mich Klerus und Akademia unisono eine Hexe. Jedes Neugeborene drückt aus: Ich bin göttlich! – Es ist sicher kein Zufall, dass ich schreibe, denn am Anfang steht das Wort. Ebenso meine Beratertätigkeit – immer geht es (mir) um die kreative Gestaltung des Neuen. Das ist nur möglich in unsicheren Zeiten, wo Altes aufbricht. Derzeit leben wir umgeben von permanenter Veränderung: Alles ist jetzt möglich. Doch alles Neue verlangt auch nach Richtung. Wohin sollen wir uns wenden? Es ist unsere Aufgabe, dies zu entdecken, es zu bestimmen, ihm zu folgen. Hierfür brauchen wir eine Vision …
Mehr zur Familiengeschichte verrät die zweibändige Dokumentation einer Ausstellung:
I. Band: Funde aus einem unterirdischen Kanalsystem
II. Band: Keramik. Funde aus einem unterirdischen Kanalsystem
Mehr Informationen zu Morriens Schaffen:
50+ Coaching-Storys: Berichte von Coachees, die über ihre Erfahrungen im Coaching bei Birgitt Morrien berichten.
Morriens Bücher: Coaching mit DreamGuidance. Wie berufliche Visionen Wirklichkeit werden.
Medien-Echo: Zahlreiche Pressestimmen über das Coaching mit DreamGuidance
Mehr Literatur zum Thema Bildungsaufstieg:
Wenn Klasse zeigen Kraft kostet